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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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lag das ungepflegte und unwegsame Gelände, wo wir ihre Asche verstreut hatten. Es war Andy gewesen, der mich dazu überredet hatte, uns ungeachtet der städtischen Verordnungen dorthin zu schleichen und die Asche überdies an dieser speziellen Stelle zu verstreuen:
    Na ja, ich meine, hier hat sie uns immer getroffen.
    Ja, aber Rattengift, guck mal die Schilder.
    Los. Jetzt kannst du es machen. Es kommt niemand.
    Die Seelöwen hat sie auch geliebt. Wir mussten immer daran vorbeigehen, um sie anzuschauen.
    Ja, aber dort willst du sie bestimmt nicht verstreuen, da stinkt es nach Fisch. Außerdem ist es mir voll unheimlich, diese Urne oder was in meinem Zimmer zu haben.
    VI
    » Mein Gott « , sagte Hobie, als er mich im Licht sah. » Du bist kalkweiß. Du hast dir doch nicht irgendwas eingefangen? «
    » Ähm… « Er war gerade auf dem Weg aus der Tür; hinter ihm standen Mr. und Mrs. Vogel, zugeknöpft und giftig lächelnd. Meine Beziehung zu den Vogels (oder » den Geiern « , wie Grischa sie nannte) war deutlich abgekühlt, seit ich den Laden übernommen hatte. Eingedenk der vielen, vielen Objekte, die sie Hobie meiner Ansicht nach gestohlen hatten, versah ich alles, woran ich ein auch nur vages Interesse ihrerseits vermutete, mit einem Aufpreis; und obwohl Mrs. Vogel– nicht dumm– dazu übergegangen war, direkt mit Hobie zu telefonieren, schaffte ich es meistens, ihre Absichten zu durchkreuzen, indem ich Hobie gegenüber (unter anderem) behauptete, das fragliche Stück wäre bereits verkauft und ich hätte nur vergessen, es entsprechend auszuzeichnen.
    » Hast du etwas gegessen? « In seiner sanftmütigen Zerstreutheit und Torheit hatte Hobie nichts davon mitbekommen, dass die Vogels und ich uns nur noch mit vorzüglicher Hochachtung begegneten. » Wir gehen um die Ecke etwas zu Abend essen. Warum kommst du nicht mit? «
    » Nein danke « , sagte ich, als ich Mrs. Vogels bohrenden Blick spürte, ein kaltes falsches Lächeln, Augen wie Achatsplitter in ihrem weichen Gesicht einer gealterten Küchenmagd. In der Regel genoss ich es, ihr ebenso kalt lächelnd entgegenzutreten– aber in dem harten Licht der Flurlampe kam ich mir verschwitzt und abgekämpft vor, irgendwie degradiert. » Ich denke, ähm, ich esse heute Abend zu Hause, danke. «
    » Fühlst du dich nicht wohl? « , fragte Mr. Vogel verbindlich– ein Mann aus dem Mittleren Westen mit schütterem Haar und randloser Brille, pedantisch ordentlich in seiner Seemannsjacke, dein Pech, wenn er dein Banker und du mit der Hypothek im Rückstand warst. » Wie bedauerlich. «
    » Es war reizend, dich zu sehen « , sagte Mrs. Vogel, machte einen Schritt nach vorn und legte ihre pummelige Hand auf meinen Ärmel. » Hast du Pippas Besuch genossen? Ich wünschte, ich hätte eine Gelegenheit gehabt, sie zu sehen, aber sie war ja so beschäftigt mit ihrem Freund. Wie fandest du ihn– wie hieß er noch? « , wieder an Hobie gewandt, » Elliot? «
    » Everett « , sagte Hobie unparteiisch. » Netter Junge. «
    » Ja « , sagte ich und wandte mich ab, um meinen Mantel auszuziehen. Das Auftauchen von Pippa, frisch aus dem Flieger von London, mit diesem » Everett « war einer der hässlicheren Schocks meines Lebens gewesen. Ich hatte die Tage und Stunden gezählt, zittrig vor Schlaflosigkeit, unfähig, nicht alle fünf Minuten auf die Uhr zu gucken, war buchstäblich die Treppe hinuntergerannt, um die Tür aufzureißen– und da stand sie, Hand in Hand mit diesem schäbigen Engländer?
    » Und was macht er? Ist er auch Musiker? «
    » Musikbibliothekar, genau genommen « , sagte Hobie. » Ich weiß nicht, was das heutzutage umfasst, mit Computern und allem. «
    » Oh, ich bin sicher, Theo kennt sich bestens damit aus « , sagte Mrs. Vogel.
    » Nein, eigentlich nicht. «
    » Cybrarian? « , sagte Mrs. Vogel mit einem untypisch fröhlichen Glucksen und an mich gewandt: » Stimmt es, was man sagt, dass junge Leute heutzutage einen Abschluss machen können, ohne je einen Fuß in die Bibliothek gesetzt zu haben? «
    » Da bin ich überfragt. « Ein Musikbibliothekar! Es hatte jeden Funken meiner Selbstbeherrschung erfordert, eine ausdruckslose Miene zu wahren (meine Eingeweide zerbröselten, alles zu Ende), als ich seine feuchte englische Hand schüttelte, Hallo, Everett, du musst Theo sein, hab schon so viel von dir gehört, bla, bla, bla, während ich erstarrt in der Tür stand wie ein aufgespießter Yankee, der den Fremden anstarrte, der ihn mit seinem Bajonett durchbohrt

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