Der Distelfink
hatte. Er war ein schmächtiger, großäugiger Schlaks, unschuldig, langweilig, aufreizend fröhlich, in Jeans und Hoodie wie ein Teenager, und sein bereitwilliges, entschuldigendes Lächeln, wenn wir allein im Wohnzimmer waren, hatte mich zur Weißglut getrieben.
Jeder Moment ihres Besuches war eine Tortur gewesen. Irgendwie hatte ich mich durchlaviert. Zwar hatte ich versucht, ihnen nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen (so geübt ich als Heuchler war, schaffte ich es trotzdem kaum, ihm höflich zu begegnen. Alles an ihm, seine rosafarbene Haut, sein nervöses Lachen, die Haare, die aus seinen Hemdsärmeln sprossen, weckte in mir den Wunsch, ihm ins Gesicht zu springen und ihm sein englisches Pferdegebiss rauszuschlagen. Was wäre das wohl für eine Überraschung, dachte ich grimmig und starrte ihn wütend über den Tisch hinweg an, wenn der gute alte, mit Antiquitäten handelnde » Brille « ausholen und ihm die Eier zerquetschen würde?), doch ich hatte es trotz aller Anstrengung nicht geschafft, mich von Pippa fernzuhalten, sondern sie aufdringlich umschwirrt und mich selber dafür gehasst, so schmerzhaft erregt war ich von ihrer Nähe: ihre nackten Füße beim Frühstück, ihre nackten Beine, ihre Stimme. Ein unerwarteter kurzer Blick auf ihre weißen Achselhöhlen, wenn sie ihren Pullover über den Kopf auszog. Die Qual ihrer Hand auf meinem Ärmel: » Hi, Süßer. Hi, mein Lieber. « Sie schlich sich von hinten an und hielt mir die Augen zu: Überraschung! Sie wollte alles über mich wissen, alles, was ich machte. Sie quetschte sich neben mich auf das zweisitzige Queen-Anne-Sofa, sodass unsere Beine sich berührten: o Gott. Was las ich? Durfte sie meinen iPod angucken? Wo hatte ich diese fantastische Armbanduhr her? Jedes Mal wenn sie mich anlächelte, wehte der Himmel herein. Aber trotzdem, immer wenn ich einen Vorwand erdacht hatte, sie allein zu erwischen, kam er neben ihr angetrampelt, dämliches Grinsen, einen Arm um ihre Schulter, und machte alles kaputt. Eine Unterhaltung im Nebenzimmer, lautes Lachen: Sprachen die beiden über mich? Er legte seine Hände auf ihre Hüften! Nannte sie » Pips « ! Der einzige auch nur vage erträgliche oder amüsante Moment seines Besuchs war, als Poptschik– auf seine alten Tage revierempfindlich– ihn ohne jeden Grund angesprungen und in den Daumen gebissen hatte– » o Gott! «. Hobie rannte los, um Alkohol zu holen, Pippa war besorgt, Everett versuchte, sich cool zu geben, war jedoch sichtlich verärgert: Klar, Hunde sind toll! Ich liebe sie! Wir hatten zu Hause nur nie welche, weil meine Mom allergisch ist. Er war die » ärmliche Verwandtschaft « (sein Ausdruck) eines früheren Mitschülers von ihr: amerikanische Mutter, zahlreiche Geschwister, Vater lehrte irgendwas unverständlich Mathematisch-Philosophisches oder so ähnlich in Cambridge. Wie sie war er Vegetarier » auf der Grenze zum Veganer « , und zu meinem Entsetzen stellte sich heraus, dass die beiden eine Wohnung teilten (!)– er hatte während des Besuches natürlich in ihrem Zimmer geschlafen. Fünf Nächte lang, die gesamte Zeit, die er da war, hatte ich gallig vor Wut und Kummer wach gelegen, die Ohren gespitzt auf jedes Rascheln ihrer Bettdecke, jedes Seufzen und Flüstern von nebenan.
Aber– kurzes Abschiedswinken in Richtung Hobie und den Vogels, schönen Abend zusammen– was hatte ich erwartet? Es hatte mich wütend gemacht, mich bis ins Mark getroffen, der behutsame gütige Ton, den sie im Beisein dieses » Everetts « mir gegenüber angeschlagen hatte– » Nein « , sagte ich höflich, als sie mich fragte, ob ich eine Freundin hätte, » eigentlich nicht « , obwohl ich (worauf ich auf eine durchsichtige, düstere Art stolz war) sogar mit zwei verschiedenen Mädchen schlief, von denen keine von der anderen wusste. Beide waren hübsch, und das Mädchen mit dem gehörnten Verlobten war sogar richtig schön– eine kleine Carole Lombard–, aber keine von beiden war für mich real; sie waren nur ein Ersatz für sie.
Meine eigenen Gefühle ärgerten mich. Mit » gebrochenem Herzen « (leider das erste Wort, das mir einfiel) herumzusitzen war weinerlich sentimental, verachtenswert und schwach– buhuhu, sie lebt in London, sie ist mit einem anderen zusammen, los, kauf eine Flasche Wein, vögel mit Carole Lombard und komm drüber hinweg. Doch der Gedanke an sie bereitete mir so andauernde Pein, dass ich sie so wenig vergessen konnte wie einen schmerzenden Zahn. Ich war zwanghaft,
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