Der Distelfink
meinem Ärmel, und ehe ich michs versah, hatte Kitsey die Arme um mich geschlungen, und ich lächelte auf ihr weißblondes Haar hinab.
» Oh, du bist ja komplett durchnässt « , sagte sie und hielt mich eine Armlänge auf Abstand. » Schau dich an. Wie um alles in der Welt bist du hergekommen? Geschwommen? « Sie hatte Mr. Barbours lange feine Nase und seine helle, beinahe einfältige Klarheit im Blick– ziemlich genau so wie als Neunjährige in ihrer Schuluniform, wild wucherndes Haar, das Gesicht leicht gerötet und mit ihrem Rucksack kämpfend–, aber als sie mich jetzt direkt ansah, vergaß ich all das, weil ich erkannte, was für eine unpersönlich kühle Schönheit sie geworden war.
» Ich… « Um meine Verwirrung zu kaschieren, blickte ich wieder zu Toddy, der mit meinem Mantel und den Blumen beschäftigt war. » Sorry, aber das ist einfach so seltsam. Ich meine– vor allem du « (zu Toddy). » Wie alt warst du, als ich dich das letzte Mal gesehen habe? Sieben? Acht? «
» Ich weiß « , sagte Kitsey, » die kleine Ratte, er ist jetzt schon genau wie ein richtiger Erwachsener. Platt « , Platt war ins Zimmer geschlendert, schlecht rasiert, in Tweedhose und einem groben irischen Wollpullover wie ein trübsinniger Fischer aus einem Drama von Synge, » wo will sie uns haben? «
» Hm « , er wirkte verlegen, rieb sich die stoppeligen Wangen, » in ihrem Zimmer, ehrlich gesagt. Du hast doch nichts dagegen, oder? « , fragte er mich. » Etta hat dort gedeckt. «
Kitsey runzelte die Stirn. » Oh, Mist. Na ja, es ist vermutlich okay. Warum bringst du ihre Hunde nicht in die Küche? Komm « , sie fasste mich bei der Hand und zog mich leicht vorgebeugt mit einer Art flatterhafter Verwegenheit den Flur hinunter, » wir müssen dir einen Drink besorgen, den wirst du brauchen. « In der Starrheit ihres Blicks und auch ihrer Atemlosigkeit lag etwas von Andy– sein asthmatisches Gaffen hinreißend neu konfiguriert in ihrem leicht geöffneten Mund und ihrer flüsternden Starlet-Art. » Ich hatte gehofft, sie würde uns im Esszimmer empfangen oder wenigstens in der Küche, hinten in ihrer Höhle ist es so schrecklich– was trinkst du? « Sie wandte sich der Bar neben der Speisekammer zu, wo Gläser und ein Eiskübel bereitstanden.
» Ein bisschen von dem Stolichnaya wäre super. Mit Eis, bitte. «
» Wirklich? Bist du sicher, dass das okay ist? Von uns trinkt ihn keiner– Daddy hat immer diese Marke bestellt « , sie hob die Stoli-Flasche hoch, » weil er das Etikett mochte… sehr Fifties und Sixties, Kalter Krieg und so… wie spricht man es noch mal aus… «
» Stolichnaya. «
» Klingt sehr authentisch. Ich werde es gar nicht erst versuchen. Weißt du « , sie sah mich aus ihren stachelbeergrauen Augen an, » ich hatte Angst, du würdest nicht kommen. «
» So schlimm ist es draußen auch nicht. «
» Ja, aber « , zwinker, zwinker, » ich dachte, du hasst uns. «
» Euch hassen? Nein. «
» Nicht? « Wenn sie lachte, war es faszinierend, Andys leukämische Blässe– in ihr– verschönert neu erschaffen zu sehen, das Zuckerwatteglitzern einer Disney-Prinzessin. » Aber ich war so gemein. «
» Das hat mir nichts ausgemacht. «
» Gut. « Nach einer zu langen Pause wandte sie sich wieder den Drinks zu. » Wir waren schrecklich zu dir, Todd und ich. «
» Nun. Komm schon, ihr wart einfach noch klein. «
» Ja, aber « , sie biss sich auf die Unterlippe, » wir wussten es besser. Vor allem nach dem, was dir passiert war. Und jetzt… ich meine mit Daddy und Andy… «
Ich wartete, weil es schien, als versuchte sie, einen Gedanken zu formulieren, doch stattdessen trank sie nur einen Schluck von ihrem Wein (weiß– Pippa trank roten) und berührte mein Handgelenk. » Mum wartet schon, dich zu sehen « , sagte sie. » Sie war den ganzen Tag fürchterlich aufgeregt. Wollen wir? «
» Gewiss. « Leicht, ganz leicht, legte ich meine Hand an ihren Ellenbogen, wie ich es Mr. Barbour mit Gästen » des schönen Geschlechts « hatte machen sehen, und steuerte sie in den Flur.
VIII
Der Abend war traumartiges Durcheinander von Vergangenheit und Gegenwart: eine Kindheitswelt, die in mancher Hinsicht noch wundersam intakt war, in anderer schmerzlich verändert, als würden der Geist der vergangenen Weihnacht und der Geist noch zu kommender Weihnacht für einen Abend lang gemeinsam als Gastgeber fungieren. Aber trotz des bleibenden, hässlichen Kratzers von Andys Abwesenheit ( Andy und ich …? Weißt du
Weitere Kostenlose Bücher