Der Distelfink
landenden Flugzeug.
» Soll ich eine Zahl nennen? Nun. Ich denke, eine halbe Million sollte ausreichend sein, wenn man bedenkt, dass ich in einer Position bin, in diesem Moment einen Anruf zu tätigen « , er zog sein Handy aus der Tasche und legte es neben sein Wasserglas, » und Ihre Unternehmung zu beenden. «
Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. » Hören Sie, wie oft soll ich es Ihnen noch sagen? Ich weiß wirklich nicht, was Sie denken, aber… «
» Ich sage Ihnen ganz genau, was ich denke, Theodore. Ich denke an Erhalt, Konservierung. Sorgen, die für die Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten, offensichtlich nicht oberste Priorität haben. Sie werden bestimmt einsehen, dass es das Klügste ist– für Sie und auch für das Gemälde. Sie haben offensichtlich ein Vermögen damit gemacht, aber es ist unverantwortlich, finden Sie nicht auch, es unter derart riskanten Bedingungen herumgondeln zu lassen? «
Aber meine nicht einmal vorgetäuschte Verwirrung schien mir zu nutzen. Nach einem seltsamen unbetonten Zögern griff er in die Brusttasche seiner Anzugjacke…
» Ist alles in Ordnung? « , fragte unser Kellner, Typ männliches Model, der plötzlich aufgetaucht war.
» Ja, ja, danke. «
Der Kellner entfernte sich und ging quer durch den Raum zu der schönen Empfangskellnerin. Reeve zog mehrere gefaltete Zettel aus der Tasche und schob sie über die Tischdecke.
Es war eine ausgedruckte Website. Rasch überflog ich sie: FBI … internationale Behörden… vermasselte Razzia… Untersuchung…
» Was ist das, verdammt noch mal? « , fragte ich so laut, dass die Frau am Nebentisch zusammenzuckte. Reeve– beschäftigt mit seinem Essen– sagte nichts.
» Nein, im Ernst. Was hat das mit mir zu tun? « Verärgert überflog ich die Seiten– Verfahren wegen widerrechtlicher Tötung… Carmen Huidobro, Haushälterin einer Zeitarbeitsagentur in Miami, erschossen von Drogenfahndern, die ihr Haus gestürmt hatten– und wollte gerade erneut fragen, was irgendetwas in dem Artikel mit mir zu tun hatte, als ich erstarrte.
Ein für zerstört gehaltenes altes Meisterwerk (Der Distelfink, Carel Fabritius, 1654), das angeblich als Nebenbürgschaft in dem Deal mit Contreras eingesetzt worden war, wurde bei der Razzia auf dem Grundstück in Südflorida jedoch leider nicht gefunden. Obwohl gestohlene Kunstwerke häufig als Verhandlungsmasse zur Bereitstellung von Risikokapital bei Drogen- und Waffenschmuggel eingesetzt werden, hat die DEA sich gegen Kritik aus der Kunstraubabteilung des FBI verwandt, die die Aktion als »missglückt« und »amateurhaft« bezeichnet hatte. In einer öffentlichen Stellungnahme entschuldigte man sich für den versehentlichen Tod von Mrs. Huidobro und wies gleichzeitig darauf hin, dass die Beamten der Drogenfahndung nicht für die Identifizierung und Bergung gestohlener Kunstwerke ausgebildet seien. »In Stresssituationen wie dieser«, sagte Turner Stark, Sprecher der DEA , »gilt unsere Sorge bei der Verfolgung schwerer Verstöße gegen das amerikanische Betäubungsmittelgesetz zunächst der Sicherheit der Beamten und Zivilpersonen.« Das öffentliche Aufsehen vor allem in Folge der Klage wegen der widerrechtlichen Tötung von Mrs. Huidobro hat den Ruf nach einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden laut werden lassen. » Es hätte nur eines einzigen Anrufs bedurft«, sagte Hofstede Von Moltke, Sprecher der Kunstraub-Abteilung bei Interpol, gestern auf einer Pressekonferenz in Zürich. »Aber diese Leute haben nur an ihre Verhaftungen und Verurteilungen gedacht, und das ist bedauerlich, weil das Gemälde jetzt im Untergrund ist und womöglich jahrelang nicht wieder auftauchen wird.«
Der Schmuggel mit gestohlenen Gemälden und Skulpturen ist eine weltweite Industrie mit einem geschätzten Umsatz von sechs Milliarden Dollar. Obwohl die Sichtung des Gemäldes unbestätigt blieb, gehen Ermittler davon aus, dass das seltene niederländische Meisterwerk bereits außer Landes geschafft wurde, möglicherweise nach Hamburg, wo es wahrscheinlich für einen Bruchteil des Millionenbetrages den Besitzer gewechselt hat, den es bei einer Auktion erzielen würde …
Ich legte die Zettel weg. Reeve, der aufgehört hatte zu essen, beobachtete mich mit einem knappen, tückischen Lächeln. Vielleicht lag es an der Steifheit dieses schmalen Lächelns in seinem birnenförmigen Gesicht, dass ich unerwartet in schallendes Gelächter ausbrach: das gleiche angestaute Lachen aus Schrecken
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