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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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direkt rüber zur Brooklyn Bridge zu nehmen.
    Eine alte Dame mit einem Chihuahua, kleine Kinder, die sich um ein Eis am Stiel stritten. Jenseits der Canal Street ein entferntes Delirium von Sirenen, ein unpersönliches Klagen aus der Kulisse, das mit dem Klingeln in meinen Ohren kollidierte: Es hatte etwas von konventionellem Krieg, vom leisen Brummen nahender Geschosse.
    Ich hielt mir die Ohren zu (was überhaupt nicht gegen den Tinnitus half, sondern ihn wenn überhaupt noch verstärkte), saß ganz still und versuchte nachzudenken. Meine kindischen Manipulationen zu dem Schubladenschrank kamen mir lächerlich vor– ich musste einfach zu Hobie gehen und gestehen, was ich getan hatte: nicht sehr angenehm, ziemlich beschissen sogar, trotzdem war es besser, wenn er es von mir erfuhr. Wie er reagieren würde, konnte ich mir nicht vorstellen; Antiquitäten waren das Einzige, womit ich mich auskannte. Einen anderen Job im Verkauf würde ich schwerlich bekommen, doch ich war geschickt genug, um einen Platz in einer Werkstatt zu kriegen, wenn es sein musste, Rahmen vergolden oder Holzklöppel schnitzen. Restaurierung war schlecht bezahlt, aber weil es nur wenig Leute gab, die wussten, wie man Antiquitäten einigermaßen anständig reparierte, würde mich bestimmt irgendjemand nehmen. Was den Artikel betraf, war ich verwirrt über das, was ich gelesen hatte, beinahe so, als wäre ich in der Mitte in einen falschen Film geraten. Auf einer Ebene war es völlig klar: Ein kühner Gauner hatte meinen Distelfink gefälscht (was Größe und Technik anging, kein allzu schwieriges Unterfangen), und diese Fälschung gondelte jetzt irgendwo herum, tauchte als Nebenbürgschaft in Drogen-Deals auf und wurde von diversen ahnungslosen Drogenbossen und -fahndern fehlidentifiziert. Aber egal wie bizarr und abseitig die Geschichte sein mochte, wie bedeutungslos für das Gemälde oder mich, war der Zusammenhang, den Reeve hergestellt hatte, real. Wie vielen Leuten mochte Hobie davon erzählt haben, wie ich vor seiner Tür aufgetaucht war? Und wie vielen Leuten hatten die es weitererzählt? Aber bisher hatte nicht einmal Hobie die Verbindung hergestellt, dass Weltys Ring der Beweis für meinen Aufenthalt in dem Saal mit dem Gemälde war. Der Knackpunkt des Crackers, hätte mein Vater gesagt. Die Geschichte, die mich ins Gefängnis bringen würde. Der französische Kunstdieb, der in Panik geraten und zahlreiche der von ihm gestohlenen Gemälde verbrannt hatte (Cranach, Watteau, Corot), war mit nur sechsundzwanzig Monaten Haft davongekommen, allerdings in Frankreich und kurz nach dem 11.September. Hierzulande war für Museumsdiebe im Rahmen der bundesstaatlichen Anti-Terror-Gesetze der schwerer wiegende Straftatbestand des » Raubs kultureller Artefakte « hinzugekommen. Die Strafen waren härter geworden, speziell in Amerika. Selbst mit Glück konnte ich mich auf fünf bis zehn Jahre einstellen.
    Was ich– ehrlich gesagt– verdient hätte. Wie hatte ich je geglaubt, es im Verborgenen halten zu können? Schon seit Jahren wollte ich mich um das Gemälde kümmern, es dorthin zurückbringen, wo es hingehörte, aber irgendwie hatte ich immer neue Gründe gefunden, genau das nicht zu tun. Wenn ich daran dachte, dass es eingepackt und versiegelt in Uptown lagerte, fühlte ich mich selbst irgendwie ausgelöscht und ausradiert, als ob es in seinem Verlies nur noch mächtiger geworden wäre und eine kraftvollere, schrecklichere Gestalt angenommen hätte. Selbst verhüllt und begraben hatte es sich befreit, um in einer öffentlichen Erzählung von Betrug aufzutauchen, ein Strahlen, das in das Bewusstsein der Welt leuchtete.
    XVI
    » Hobie « , sagte ich, » ich stecke in einer Klemme. «
    Er blickte von der japanischen Truhe auf, die er überarbeitete: Hähne und Kraniche, goldene Pagoden auf schwarzem Grund. » Kann ich helfen? « Er zeichnete die Umrisse eines Kranichflügels mit einer Acrylfarbe auf Wasserbasis nach– ganz anders als das Schellack-Original, doch wie er mir beigebracht hatte, lautete die erste Regel der Restaurierung, nie etwas zu tun, was man nicht rückgängig machen konnte.
    » Also, ehrlich gesagt, die Sache ist die. Ich habe dich in eine Art Klemme gebracht. Unabsichtlich. «
    » Nun « , die Linie des Pinsels blieb absolut ruhig, » wenn du Barbara Guiborry gesagt hast, wir würden ihr bei der Renovierung dieses Hauses in Rhinebeck helfen, bist du auf dich allein gestellt. › Farben der Chakren ‹ . Nie gehört. «
    »

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