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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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nicht? « , fragte ich verbindlich. Ich hatte bewusst einen Tisch im größten Gedränge gewählt– nicht so laut, dass wir schreien mussten, aber laut genug, um abschreckend zu wirken; außerdem hatte ich ihm den Platz frei gelassen, von dem er in die Sonne gucken musste.
    » Das ist vollkommen lächerlich. «
    » Oh, tut mir leid. Wenn Sie sich hier nicht wohlfühlen… « Ich wies mit dem Kopf auf die Kellnerin, die mit sich selbst beschäftigt abwesend am Empfang hin und her wankte.
    Er musste mir recht geben– das Restaurant war voll besetzt–, also setzte er sich. Obwohl seine Mimik und seine Art zu reden knapp und elegant waren und er für einen Mann seines Alters einen modisch geschnittenen Anzug trug, erinnerte mich sein Gebaren an einen Kugelfisch, einen aufblasbaren Comic-Muskelmann oder Mountie: gespaltenes Kinn, Nase wie ein Teigklumpen, schmale, angespannte Lippen, alles eng in der Mitte eines Gesichtes zusammengeballt, das füllig, entzündet, Bluthochdruck-rosafarben leuchtete.
    Nachdem das Essen serviert worden war– asiatische Fusion-Küche mit kunstvoll arrangierten, knusprigen Wan Tans und Garnelen, garniert mit Frühlingszwiebeln: seiner Miene nach zu urteilen, nicht nach seinem Geschmack–, wartete ich, bis er sich dazu durchrang zu sagen, was er sagen wollte. Ich hatte einen Durchschlag der gefälschten Quittung in der Tasche, die ich auf einer leeren Seite in Weltys altem Quittungsblock geschrieben und fünf Jahre zurückdatiert hatte. Präsentieren wollte ich ihn jedoch erst, wenn es wirklich nötig werden sollte.
    Er hatte um eine Gabel gebeten; damit zupfte er diverse fiberglasartige Gemüsefäden aus seinem leicht beunruhigenden Teller mit » Scorpion Prawns « und legte sie an den Rand. Seine kleinen Augen leuchteten hellblau in seinem schweinerosa Gesicht. » Ich weiß von dem Museum « , sagte er.
    » Was wissen Sie? « , fragte ich nach einem überraschten Schauder.
    » Ich bitte Sie. Sie wissen sehr gut, worüber ich spreche. «
    Angst versetzte mir einen Stich in die Lendenwirbelsäule, aber ich achtete darauf, meinen Blick nicht von meinem Teller zu heben: weißer Reis mit gebratenem Gemüse, das fadeste Gericht auf der Karte. » Nun, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich lieber nicht darüber sprechen. Es ist ein schmerzliches Thema. «
    » Ja, das kann ich mir vorstellen. «
    Er sagte es derart höhnisch und provozierend, dass ich scharf aufblickte. » Meine Mutter ist gestorben, falls Sie das meinen. «
    » Ja, das ist sie. « Lange Pause. » Genau wie Welton Blackwell. «
    » Das ist richtig. «
    » Nun, ich meine. Es stand überall in den Zeitung, Herrgott noch mal. Öffentlich dokumentiert. Aber « , er fuhr mit der Zungenspitze blitzschnell über seine Oberlippe, » ich frage mich: Warum musste James Hobart die Geschichte auch jedem in der Stadt erzählen? Wie Sie mit dem Ring seines Partners in der Tasche auf seiner Türschwelle standen? Denn wenn er einfach den Mund gehalten hätte, hätte nie jemand die Verbindung hergestellt. «
    » Ich verstehe nicht, was Sie meinen. «
    » Sie wissen ganz genau, was ich meine. Sie haben etwas, das ich will. Etwas, das viele Leute wollen. «
    Ich hörte auf zu essen, die Stäbchen blieben auf halbem Weg zu meinem Mund in der Luft stehen. Mein spontaner unüberlegter Impuls war es, aufzustehen und das Restaurant zu verlassen, doch mir wurde beinahe ebenso schnell klar, wie dumm das gewesen wäre.
    Reeve lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. » Sie sagen gar nichts. «
    » Das liegt daran, dass Sie wirres, sinnloses Zeug reden « , erwiderte ich scharf, legte die Stäbchen ab und dachte für den Bruchteil einer Sekunde– wegen der Schnelligkeit der Geste– an meinen Vater. Wie würde er mit der Situation umgehen?
    » Sie wirken beunruhigt. Ich frage mich, warum. «
    » Ich glaube, ich verstehe nicht, was das mit dem Schubladenschrank zu tun hat. Denn ich war davon ausgegangen, dass wir deswegen hier sind. «
    » Sie wissen sehr gut, wovon ich spreche. «
    » Nein « , ungläubiges, authentisch klingendes Lachen, » ich fürchte nicht. «
    » Soll ich es Ihnen vorbuchstabieren? Gleich hier? Also gut, das werde ich tun. Sie, Welton Blackwell und seine Nichte waren alle drei in der Galerie 32, und Sie « , ein träges, provozierendes Lächeln, » waren der Einzige, der den Saal aus eigener Kraft verlassen hat. Und wir wissen beide, was die Galerie 32 noch verlassen hat, oder nicht? «
    Es war, als ob sämtliches Blut in meine

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