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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Traurigkeit, jemanden zu lieben, den ich nicht haben konnte, aber ich wusste auch, dass mein unmittelbares Problem darin bestand, mich einer (wie ich fand) unangenehm eskalierenden, gesellschaftlichen Gangart anzupassen. Kitsey und ich genossen nicht mehr so viele erholsame Abende à deux, Händchen haltend auf derselben Seite des Tisches in der dunklen Nische eines Restaurants. Stattdessen gab es jetzt beinahe jeden Abend Dinnerpartys und lange Restauranttafeln mit ihren Freunden, anstrengende Anlässe, bei denen es mir (nervös, unberauscht, bis auf die letzte Synapse ausgebrannt) schwerfiel, die gesellschaftlich angemessene Begeisterung zu zeigen, vor allem wenn ich von der Arbeit müde war– und dann noch die Hochzeitsvorbereitungen, eine Lawine von Trivialitäten, für die ich mich ebenso enthusiastisch interessieren sollte wie sie, ein Hagel von bunten Prospekten und Waren. Für sie war es ein Vollzeitjob: Besuche bei Papierhandlungen und Floristen, Recherche zu Catering-Firmen und Händlern, haufenweise Stoffmuster, Schachteln mit Petit Fours und Tortenproben. Sie grübelte und bat mich mehrfach, ihr bei der Auswahl von zwei praktisch identischen Schattierungen von Elfenbein und Lavendel auf einer Farbkarte zu helfen; sie plante für ihre Brautjungfern eine Reihe von » Mädchenabenden « mit Übernachtung und ein » Jungs-Wochenende « für mich (organisiert von Platt? Immerhin konnte ich mich so darauf verlassen, permanent betrunken zu sein)– und dann die Pläne für die Flitterwochen, Stapel von Hochglanzkatalogen (Fidschi oder Nantucket? Mykonos oder Capri?). » Fantastisch « , sagte ich jedes Mal in meinem freundlichen neuen Kitsey-Gesprächston, » sieht alles super aus « , obwohl es mir angesichts der Geschichte ihrer Familie mit Wasser seltsam vorkam, dass sie sich nicht für Wien, Paris, Prag oder irgendein Ziel interessierte, das nicht buchstäblich eine Insel mitten im verdammten Ozean war.
    Trotz allem war ich mir meiner Zukunft nie so sicher gewesen, und wenn ich mich an die Richtigkeit meines Kurses erinnerte, wozu ich häufig Anlass hatte, wanderten meine Gedanken nicht nur zu Kitsey, sondern auch zu Mrs. Barbour, deren Glück mir in Kammern meines Herzens ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegeben hatte, die seit Jahren ausgetrocknet gewesen waren. Unsere Neuigkeit hatte ihre Stimmung sichtlich aufgehellt; sie fing an, in der Wohnung herumzukramen, trug einen winzigen Hauch Lippenstift, und selbst der alltäglichste Austausch mit mir war von einem festen, steten, friedlichen Licht eingefärbt, das die Räume um uns größer machte und ruhig in all meine dunkelsten Ecken leuchtete.
    » Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal so glücklich sein würde « , hatte sie mir eines Abends leise anvertraut, als Kitsey sehr plötzlich aufgesprungen war, um ans Telefon zu gehen, wie es ihre Art war, und uns zu zweit an dem Klapptisch in Mrs. Barbours Zimmer zurückgelassen hatte, wo wir verlegen in unseren Lachsfilets mit Spargelspitzen herumstocherten. » Denn– du warst immer so gut zu Andy–hast ihn aufgebaut, sein Selbstvertrauen bestärkt. Mit dir hat er sich immer von seiner besten Seite gezeigt, immer. Und– ich bin so froh, dass du jetzt auch offiziell Mitglied der Familie wirst, denn– o nein, ich sollte das wohl nicht sagen, aber ich habe dich immer wie eins meiner eigenen Kinder betrachtet, wusstest du das? Auch als du noch ein kleiner Junge warst. «
    Die Bemerkung erschütterte und rührte mich dermaßen, dass ich unbeholfen reagierte– fassungslos zu stammeln begann–, bis sie Mitleid mit mir hatte und das Gespräch auf andere Themen lenkte. Aber jedes Mal wenn ich mich daran erinnerte, wurde ich von einem warmen Glanz durchflutet. Eine ebenso befriedigende (wenn auch niederträchtige) Erinnerung war die an Pippas kurze schockierte Pause, als ich ihr die Nachricht am Telefon erzählt hatte. Immer wieder hatte ich diese Pause in meinem Kopf abgespielt, sie genossen, ihr verblüfftes Schweigen: » Oh? « Und dann wieder gefasster: » O Theo, wie wunderbar! Ich kann es nicht erwarten, sie kennenzulernen! «
    » Oh, sie ist fantastisch « , hatte ich gehässig gesagt. » Ich bin schon seit meiner Kindheit in sie verliebt. «
    Was– in vielerlei Hinsicht, die ich immer noch begreifen musste– unbedingt wahr war. Das Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart war wild erotisch: Ich zog endloses Entzücken aus der Erinnerung an die Verachtung der neunjährigen Kitsey

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