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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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vorgesehen, wie mir klar wurde, als sie darauf warteten, dass ich noch etwas hinzufügte. Schlichtes, weißes, modernes Geschirr war nichts, wofür ich große Begeisterung aufbringen konnte. Es erinnerte mich an die netten alten Marimekko-Damen, die ich manchmal im Ritz Tower traf: Witwen mit Turban, Panther-Kette und kratziger Stimme, die nach Miami umziehen wollten, ihre Wohnungen voll mit Möbeln aus Rauchglas und Chrom, die sie in den Siebzigern über ihre Innenarchitekten für den Preis eines guten Queen-Anne-Stücks gekauft hatten– die jedoch (wie ich ihnen widerwillig erklären musste) ihren Wert nicht konserviert hatten und nicht einmal für die Hälfte dessen, was sie gekostet hatten, wiederverkauft werden konnten.
    » Tischgeschirr… « Die Hochzeitsberaterin fuhr mit einem neutral manikürten Finger über den Tellerrand. » Also meine Vorstellung, wie meine Paare edles Porzellan, Kristall und Silber sehen sollten? Es ist ein Ritual am Ende des Tages. Ein Glas Wein, Spaß, Familie, Gemeinsamkeit. Ein Geschirrset ist eine großartige Möglichkeit, Ihrer Ehe ein wenig dauerhaften Stil und Romantik zu geben. «
    » Genau « , sagte ich wieder. Aber der Gedanke hatte mich abgestoßen, und die beiden Bloody Marys, die ich bei Fred’s getrunken hatte, hatten diesen unangenehmen Geschmack noch nicht ganz weggespült.
    Kitsey betrachtete die Ohrringe, skeptisch, so kam es mir vor. » Also, pass auf. Ich werde sie zu der Hochzeit tragen, sie sind wunderschön. Und ich weiß, dass sie deiner Mutter gehört haben. «
    » Ich möchte, dass du trägst, was du willst. «
    » Ich sag dir, was ich denke. « Sie streckte spielerisch den Arm über den Tisch und fasste meine Hand. » Ich glaube, du brauchst einen Mittagsschlaf. «
    » Unbedingt « , sagte ich, drückte ihre Hand an meine Wange und erinnerte mich daran, was für ein Glück ich hatte.
    II
    Es war alles wirklich schnell passiert. Nicht einmal zwei Monate nach dem Abendessen bei den Barbours sahen Kitsey und ich uns praktisch täglich– machten lange Spaziergänge, aßen gemeinsam zu Abend (manchmal im Match65 oder im Le Bilboquet, manchmal Sandwiches in der Küche) und redeten über alte Zeiten: über Andy und verregnete Sonntage mit dem Monopoly-Brett ( » Ihr beide wart so gemein… Shirley Temple allein gegen Henry Ford und J.P. Morgan « ), über den Abend, an dem sie weinen musste, weil wir sie gezwungen hatten, anstatt Pocahontas Hellboy zu gucken, die quälenden Anzug-und-Krawatte-Anlässe– jedenfalls quälend für uns kleine Jungen, bei denen wir steif vor einer Cola mit Zitrone im Yacht-Club herumsaßen, während Mr. Barbour unruhig Ausschau nach Amadeo hielt, seinem Lieblingskellner, mit dem er sich unbedingt in seinem lächerlichen Xavier-Cugat-Spanisch unterhalten musste–, Schulfreunde, Partys, ein unerschöpflicher Gesprächsstoff, weißt du noch dies, weißt du noch das, weißt du noch, wie wir… ganz anders als mit Carole Lombard, wo es immer nur um Alkohol und Sex gegangen war, ohne dass wir uns allzu viel zu sagen gehabt hätten.
    Nicht, dass nicht auch Kitsey und ich sehr verschiedene Menschen gewesen wären, aber das war in Ordnung: Sollte die Ehe, wie Hobie durchaus vernünftig angemerkt hatte, nicht eine Verbindung von Gegensätzen sein? Sollte Kitsey nicht neue Anstöße in mein Leben bringen und ich in ihres? Und wurde es nicht (sagte ich mir) Zeit, nach vorne zu schauen, loszulassen und mich dem Garten zuzuwenden, der mir verschlossen war? In der Gegenwart zu leben, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, anstatt zu betrauern, was ich nie haben konnte? Jahrelang hatte ich mich in einem Treibhaus vergeblichen Kummers gesuhlt: Pippa, Pippa, Pippa, Heiterkeit und Verzweiflung, eine endlose Schleife, praktisch bedeutungslose Ereignisse trugen mich bis zu den Sternen oder stürzten mich in wortlose Depression, der Anblick ihres Namens auf meinem Handy-Display oder eine mit » alles Liebe « unterschriebene E-Mail (so unterschrieb Pippa alle ihre E-Mails an jeden) ließ mich tagelang schweben, während ich– wenn sie Hobie anrief und nicht auch mich sprechen wollte (und warum sollte sie?)– völlig unverhältnismäßig am Boden zerstört war. Ich litt unter einem Wahn, und ich wusste es. Schlimmer noch: Meine Liebe für Pippa war unter der Wasseroberfläche mit meiner Mutter vermischt, mit dem Tod meiner Mutter, dem Verlust meiner Mutter, der Unmöglichkeit, sie zurückzubekommen. All mein blinder, infantiler Hunger, zu retten

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