Der Distelfink
Potter. « Er griff nach meinem Arm. » Komm, lass uns gehen. «
» Ja, sorry. Wir müssen uns später unterhalten. Scheiße « , sagte Horst bedauernd. Er schüttelte die schlaffe Schulter des Jungen und sagte im Ton eines Vaters, der nicht besonders überzeugend so tut, als schimpfe er mit seinem Kind, auf Deutsch: » Dummer Wichser! Dummkopf! Wie viel hat er genommen, Niall? « , fragte er den Gorilla, der wieder in der Tür stand und mit kritischem Blick zuschaute.
» Scheiße, woher soll ich das wissen? « , sagte der Ire mit einer ominösen Seitwärtsbewegung des Kopfes.
» Komm, Potter. « Boris zog an meinem Arm. Horst hatte ein Ohr auf die Brust des Jungen gelegt, und die Blonde war wieder da, kniete neben ihm und kontrollierte seine Atemwege.
Sie berieten sich aufgeregt auf Deutsch, und weitere Geräusche und Bewegungen kamen hinter dem Amiens-Teppich hervor, der sich plötzlich blähte: verschossene Blüten, eine fête champêtre, freizügige Nymphen, die sich zwischen Quelle und Ranken vergnügten. Ich starrte einen Satyr an, der sie verschlagen hinter einem Baum hervor beobachtete, als unerwartet etwas mein Bein berührte und ich einen Satz rückwärts machte. Eine Hand langte unter dem Teppich hindurch nach meinen Hosenaufschlag. Eins der schmutzigen Bündel auf dem Boden– unter dem Teppich war ein geschwollenes rotes Gesicht zu erkennen– fragte mich in schlaftrunken galantem Ton: » Er ist ein Markgraf, mein Lieber. Wusstest du das? «
Ich riss mein Hosenbein los und trat zurück. Der Junge auf dem Boden rollte den Kopf hin und her und machte Geräusche wie ein Ertrinkender.
» Potter. « Boris hatte meinen Mantel aufgehoben und drückte ihn mir praktisch ins Gesicht. » Komm! Wir gehen! Ciao! « , rief er mit erhobenem Kinn in die Küche (ein hübscher dunkler Kopf in der Tür, eine flatternde Handbewegung: Bye, Boris! Bye! ), und er schob mich vor sich her und drückte sich hinter mir zur Tür hinaus. » Ciao, Horst! « , rief er und hielt sich in einer Ruf mich an! -Geste mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger die Hand ans Ohr.
» Tschau, Boris! Tut mir leid! Wir sprechen uns bald wieder! Auf « , sagte Horst, als der Ire herankam und den Jungen unter dem anderen Arm packte. Gemeinsam zogen sie ihn hoch und schleppten ihn mit schlaffen Beinen und schleifenden Füßen– während die beiden Teenager in der Tür hastig erschrocken zurückwichen– durch die beleuchtete Tür nach nebenan, wo Boris’ Brünette aus einer winzigen Glasflasche eine Spritze aufzog.
XVII
Als wir im Aufzugkäfig hinunterfuhren, umgab uns plötzlich Stille: knirschende Zahnräder, knarrende Flaschenzüge.
Draußen hatte es aufgeklart. » Komm « , sagte Boris mit einem nervösen Blick über die Straße und holte sein Telefon aus der Tasche. » Lass uns rübergehen, komm! «
» Was denn? « Wir würden die Ampel noch erwischen, wenn wir uns beeilten. » Rufst du etwa den Rettungswagen an? «
» Nein, nein. « Abwesend wischte Boris sich über die Nase und sah sich um. » Ich will hier nicht rumstehen und auf den Wagen warten. Ich rufe ihn an, damit er uns auf der anderen Seite des Parks abholt. Wir gehen quer rüber. Manchmal setzen diese Kids sich einen Schuss, der ein bisschen zu groß ist « , erklärte er, als er sah, dass ich ängstlich zu dem Townhouse zurückschaute. » Keine Sorge. Der wird wieder. «
» Das sah aber nicht so aus. «
» Nein, aber er hat geatmet, und Horst hat Naloxon. Das bringt ihn gleich zurück. Wie Zauberei– hast du das mal gesehen? Du hast sofort Entzugserscheinungen. Du fühlst dich beschissen, aber du lebst. «
» Sie sollten ihn ins Krankenhaus bringen. «
» Wieso? « , fragte Boris nüchtern. » Was machen sie in der Notaufnahme? Sie geben ihm Naloxon, sonst gar nichts. Das kann Horst schneller. Und ja– er wird kotzend zu sich kommen und das Gefühl haben, man hätte ihm ein Messer in den Schädel gestoßen, aber besser da als im Krankenwagen, BUUUMM , Hemd aufgeschnitten, Maske aufs Gesicht geknallt, Leute klatschen ihm ins Gesicht, um ihn wach zu halten, das Gesetz kommt ins Spiel, alle sind hart und voreingenommen– glaub mir, Naloxon ist ein sehr, sehr brutales Erlebnis, und dir geht’s dreckig genug ohne Krankenhaus, das helle Licht, und alle sind ablehnend und feindselig und behandeln dich wie Scheiße, › Drogensüchtiger ‹ , › Überdosis ‹ , und all die fiesen Blicke, und vielleicht lassen sie dich nicht nach Hause gehen, wann du willst, sondern
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