Der Distelfink
aber ich wollte dazu nicht um die Gestalten am Boden herumgehen. Am anderen Ende des Raumes hatte ich noch ein paar Bilder entdeckt, die an der Holztäfelung lehnten: ein Stillleben, zwei kleine Landschaften.
» Gehen Sie hin, schauen Sie sie an, wenn Sie wollen. « Das war Horst. » Der Lépine ist eine Fälschung. Aber der Claesz und der Berchem sind zu verkaufen, falls Sie sich dafür interessieren. «
Boris lachte und nahm sich eine von Horsts Zigaretten. » Er ist nicht am Markt. «
» Nicht? « , sagte Horst leutselig. » Ich kann ihm einen guten Preis für alle beide machen. Der Verkäufer muss sie loswerden. «
Ich ging näher heran und sah es mir an: Stillleben, Kerze und halb leeres Weinglas. » Claesz Heda? «
» Nein, Pieter. Obwohl… « Horst stellte seinen Kasten ab, kam zu mir und hob die Schreibtischlampe an der Schnur hoch. Harte, förmliche Helligkeit überflutete beide Bilder. » Diese Partie « , er fuhr mit dem gekrümmten Finger durch die Luft, » der Reflex der Flamme hier? Und die Tischkante, das Tuch? Könnte fast ein Heda sein, an einem seiner schlechten Tage. «
» Ein schönes Stück. «
» Ja. Schön für diese Art. « Aus der Nähe verströmte er einen ungewaschenen, ranzigen Geruch, den kräftigen, staubigen Importladengeruch, wie er aus chinesischen Kartons aufsteigt. » Ein bisschen prosaisch für den modernen Geschmack. Die klassizisierende Manier. Viel zu inszeniert. Aber der Berchem ist sehr gut. «
» Sind viele gefälschte Berchems unterwegs « , sagte ich neutral.
» Ja « , das Licht von der hochgehaltenen Lampe auf dem Landschaftsgemälde war bläulich, geisterhaft, » aber der hier ist hübsch… Italien, 1655… die Ocker sind doch schön, oder? Der Claesz ist nicht so gut, finde ich, sehr früh, aber die Herkunft ist makellos, bei beiden. Wäre schön, sie zusammenzuhalten… waren noch nie voneinander getrennt, die beiden. Vater und Sohn. Sind in einer alten holländischen Familie vererbt worden und nach dem Krieg in Österreich gelandet. Pieter Claesz… « Horst hob die Lampe höher. » Claesz war so unausgewogen, ehrlich gesagt. Wundervolle Technik, wundervolle Oberfläche, aber irgendetwas ist hier schief, finden Sie nicht? Die Komposition hält nicht zusammen. Irgendwie inkohärent. Außerdem… « Mit der flachen Kuppe seines Daumens wies er auf den allzu starken Glanz hin, der von der Leinwand ausging: zu viel Firnis.
» Stimmt. Und hier… « Mit einer Handbewegung durch die Luft folgte ich dem hässlichen Bogen, wo eine übereifrige Reinigung die Farbe bis auf die Lasur heruntergeschrubbt hatte.
» Ja. « Der Blick, mit dem er antwortete, war liebenswürdig und schläfrig. » Ganz recht. Azeton. Wer immer das getan hat, gehört erschossen. Und trotzdem ist ein mittelmäßiges Bild wie dieses, in schlechtem Zustand– und selbst als anonyme Arbeit–, mehr wert als ein Meisterwerk, das ist die Ironie der Sache. Für mich jedenfalls. Besonders Landschaften. Sehr, sehr leicht zu verkaufen. Die Behörden sind da nicht allzu aufmerksam… aufgrund von Beschreibungen schwer zu erkennen… und trotzdem noch vielleicht zweihunderttausend wert. Der Fabritius dagegen « , eine lange, entspannte Pause, » ist von einem ganz anderen Kaliber. » Das bemerkenswerteste Kunstwerk, das je durch meine Hände gegangen ist, und das kann ich mit Entschiedenheit sagen. «
» Ja, und deshalb hätten wir es so gern zurück « , knurrte Boris im Schatten.
» Absolut außergewöhnlich « , fuhr Horst gleichmütig fort. » Ein Stillleben wie dieses hier « , er deutete mit einer langsamen Wellenbewegung auf den Claesz (schwarz geränderte Fingernägel, ein von Narben übersätes Venennetz auf dem Handrücken), » ja, es ist so nachdrücklich ein Trompe-l’ Œ il. Großes technisches Geschick, aber übermäßig raffiniert. Obsessive Exaktheit. Eine todesartige Anmutung. Ein sehr guter Grund, weshalb sie natures mortes heißen, oder? Aber der Fabritius… « Ein wackeliger Schritt zurück. » Ich kenne die Theorie über den Distelfink, sie ist mir sehr vertraut, die Leute sprechen von einem Trompe-l’ Œ il, und tatsächlich kann es einem aus der Ferne so erscheinen. Aber was die Kunsthistoriker sagen, interessiert mich nicht. Es stimmt: Manche Partien sind gearbeitet wie ein Trompe-l’ Œ il… die Wand und die Stange, Lichtreflexe auf dem Messing, und dann… das Gefieder der Brust, überaus kreatürlich. Flausch und Daunen. Weich, so weich. Claesz würde dieses Finish,
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