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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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weiß, wofür es dann eingetauscht wird? Hat es diese Gruppe, hat es jene Gruppe. Der Punkt ist « , er hielt einen Finger hoch, » dein Bild wird nicht in der Sammlung eines kunstverrückten Oligarchen verschwinden. Dafür ist es zu berühmt. Niemand will es kaufen. Warum auch? Was kann man damit anfangen? Nichts. Solange die Polizei es nicht findet– und sie hat es nicht gefunden, das wissen wir… «
    » Ich will aber, dass die Polizei es findet. «
    » Tja « , Boris rieb sich zügig die Nase, » ja, ist ganz edel. Aber vorläufig weiß ich nur eins: Es wird sich bewegen, und zwar nur innerhalb eines sehr kleinen Netzwerks. Und Victor Cherry ist ein großartiger Freund, der mir eine Menge schuldet. Also– Kopf hoch! « Er nahm meinen Arm. » Brauchst nicht so bleich und krank auszusehen! Und wir sprechen uns bald wieder, versprochen. «
    XVIII
    Unter einer Straßenlaterne, wo Boris mich zurückgelassen hatte ( » Kann dich nicht nach Hause fahren! Komme schon zu spät! Muss noch wohin! « ), war ich erst mal so verwirrt, dass ich mich umschauen musste, um mich zu orientieren– die schaumig graue, grell demente Barockfassade des Alwyn Court, die Flutlichtbeleuchtung der durchbrochenen Front, die Weihnachtsdekoration am Eingang des Restaurants Petrossian, das alles schlug einen Gong in den Tiefen meiner Erinnerung an: Dezember, meine Mutter mit einer Schneemütze– Hier, Baby, ich laufe rasch um die Ecke und kaufe uns Croissants zum Frühstück …
    Ich war so abgelenkt, dass ein Mann, der um die Ecke geeilt kam, mit mir zusammenstieß. » Passen Sie doch auf! «
    » Sorry « , sagte ich und rüttelte mich wach. Obwohl der andere schuld war– zu sehr damit beschäftigt, in sein Telefon zu tröten und zu quaken, um noch darauf zu achten, wo er hinging–, richteten mehrere Leute auf dem Gehweg missbilligende Blicke auf mich. Erschöpft und durcheinander strengte ich mich an, mir zu überlegen, was ich jetzt tun sollte. Ich konnte mit der U-Bahn hinunter zu Hobie fahren, wenn ich Lust hätte, mit der U-Bahn zu fahren, aber Kitseys Apartment war näher. Sie und ihre Mitbewohnerinnen Francie und Em würden irgendwo auf ihrem Mädelsabend sein ( SMS zu schicken oder anzurufen hätte keinen Sinn, das wusste ich aus Erfahrung, denn meistens gingen sie ins Kino), aber ich hatte einen Schlüssel, und ich könnte mir dort etwas zu trinken machen und mich hinlegen und auf sie warten.
    Es hatte aufgeklart, und der Wintermond schien hell durch eine Lücke in den Unwetterwolken. Ich setzte mich in östlicher Richtung in Bewegung, und ab und zu blieb ich stehen und versuchte, ein Taxi anzuhalten. Normalerweise ging ich nicht zu Kitsey, ohne vorher anzurufen, hauptsächlich, weil mir nicht viel an ihren Mitbewohnerinnen lag. Ihnen an mir auch nicht, aber trotz Francie und Em und unserem steifen Smalltalk in der Küche war Kitseys Apartment einer der wenigen Orte in New York, an denen ich mich wirklich sicher fühlte. Bei Kitsey konnte mich niemand erreichen. Es wirkte immer irgendwie provisorisch; sie hatte nicht viele Kleider dort, sondern lebte hauptsächlich aus einem Koffer, der auf einem Gestell am Fußende ihres Bettes stand. Aus unerklärlichen Gründen gefiel mir die leere, beruhigende Anonymität der Wohnung, die fröhlich, aber sparsam mit abstrakt gemusterten Teppichen und modernen Möbeln aus einem preiswerten Designerladen eingerichtet war. Ihr Bett war bequem, die Leselampe war gut, und sie hatte einen großen Plasmafernseher, sodass wir im Bett liegen und Filme angucken konnten, wenn wir wollten. Der Edelstahlkühlschrank war immer gut gefüllt mit Mädchenzeug: Humus und Oliven, Kuchen und Champagner, Unmengen von Fertigpackungen mit albernen vegetarischen Salaten und einem halben Dutzend Sorten Eis.
    Ich wühlte den Schlüssel aus der Tasche und schloss geistesabwesend die Tür auf (ich überlegte, was ich wohl zu essen finden würde? Würde ich etwas kommen lassen müssen? Sie hatte wahrscheinlich schon gegessen, es hätte also keinen Sinn, damit zu warten), und beinahe wäre ich mit der Nase gegen die Tür gerannt, als die Türkette sich spannte.
    Ich schloss die Tür und stand einen Moment lang verblüfft da. Dann öffnete ich sie wieder so weit, dass sie klirrend an die Kette stieß: das rote Sofa, Architekturdrucke an den Wänden, eine brennende Kerze auf dem Couchtisch.
    » Hallo? « , rief ich und noch einmal, lauter: » Hallo?«, als sich drinnen etwas regte.
    Ich hatte genug Lärm gemacht, um die

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