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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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sommersprossig und gezahnt und blutfleckig und teufelsgesichtig, in Farben, die von Leichenschimmel bis Bluterguss-Magenta reichten. Da stand sogar eine schwarze Orchidee, deren graue Wurzeln sich aus dem moospelzigen Topf schlängelten. ( » Bitte, Darling « , hatte Kitsey gesagt und meine Pläne für Weihnachten intuitiv ganz zutreffend erahnt, » du darfst nicht mal dran denken, die sind alle viel zu prachtvoll, und sie gehen ein, sobald ich sie anrühre. « )
    Keine neuen Nachrichten. Schnell schrieb ich eine SMS : Hey ruf mich an, muss mit dir reden, grad ist was Irres passiert xxxx, und um sicher zu sein, dass sie noch im Kino war, wählte ich noch einmal ihre Handynummer. Aber als der Anruf klickend zur Mailbox umgeleitet wurde, sah ich ein Spiegelbild im Schaufenster, in den dschungelgrünen Tiefen des Ladens, und ungläubig drehte ich mich um.
    Er war Kitsey in ihrem pinkfarbenen Prada-Mantel, mit gesenktem Kopf und Arm in Arm flüsternd mit einem Mann, den ich kannte– ich hatte ihn seit Jahren nicht gesehen, aber identifizierte ihn sofort an der unveränderten Schulterhaltung und dem locker schlenkernden Gang: Tom Cable. Sein krauses braunes Haar war immer noch lang, er war immer noch gekleidet wie die reichen Kiffer-Kids in unserer Schule (Tretorn-Schuhe, großer dick gestrickter irischer Pullover ohne Jacke), und er trug eine Tüte aus der Weinhandlung am Arm, aus derselben Weinhandlung, in der Kitsey und ich uns manchmal noch eine Flasche holten. Aber was mich erstaunte: Kitsey, die mich immer mit etwas Abstand an der Hand hielt– sie zog mich dann hinter sich her und schwang meinen Arm neckisch hin und her wie ein Kind, das » London Bridge « spielte–, Kitsey schmiegte sich tief und sorgenvoll an seine Seite. Ich beobachtete sie mit leerem Kopf angesichts dieses unfassbaren Anblicks– sie warteten an der Ampel, ein Bus rauschte vorbei, und sie waren zu sehr ineinander vertieft, als dass sie mich bemerkt hätten–, und Cable, der leise mit ihr redete, zerzauste ihr das Haar, und dann drehte er sich um, zog sie an sich und küsste sie, und sie erwiderte den Kuss mit mehr trauriger Zärtlichkeit, als sie mir gegenüber jemals in einem Kuss gezeigt hatte.
    Und mehr noch, ich sah– sie überquerten jetzt die Straße, und ich drehte ihnen rasch den Rücken zu, und ich konnte sie im Schaufenster gut sehen, als sie nur wenige Schritte weit entfernt Kitseys Apartmenthaus betraten–, dass Kitsey aufgewühlt war. Sie sprach leise, mit gedämpfter Stimme, heiser vor Aufgebrachtheit, und sie lehnte sich dabei an Cable und schmiegte die Wange an seinen Ärmel, während er liebevoll um sie herumlangte und ihren Arm drückte. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber ihr Ton sprach Bände: Bei aller Traurigkeit war ihre Freude an ihm– und seine an ihr– unverkennbar. Jeder Fremde auf der Straße hätte das gesehen. Und als sie an mir vorüberschwebten– zwei zärtliche Geister, die sich im Schaufenster aneinanderlehnten–, beobachtete ich, wie sie kurz die Hand hob und sich eine Träne von der Wange strich, und musste unversehens verwundert die Augen bei diesem Anblick zusammenkneifen: Ich sah Kitsey, so unwahrscheinlich es auch war, zum allerersten Mal weinen.
    XX
    Einen Großteil der Nacht lag ich wach, und als ich am nächsten Tag hinunterging, um den Laden zu öffnen, war ich so in Gedanken versunken, dass ich eine halbe Stunde lang dasaß und ins Leere starrte, bevor ich merkte, dass ich vergessen hatte, das » Closed « -Schild umzudrehen.
    Kitseys Ausflüge in die Hamptons, zweimal die Woche. Fremde Nummern auf dem Display, schnell wieder aufgelegt. Kitsey, wie sie während des Essens stirnrunzelnd auf ihr Telefon schaute und es abschaltete: » Oh, das war Em. Oh, das war Mommy. Oh, das war eine Telemarketingfirma, die haben mich auf irgendeiner Liste. « SMS , mitten in der Nacht, Echolot-Impulse, bläuliches Sonarflimmern an der Wand, und Kitsey, wie sie mit bloßem Hintern aus dem Bett sprang, um das Ding abzuschalten, die Beine weiß schimmernd im Dunkeln. » Oh, eine falsche Verbindung. Oh, das war Toddy, er ist irgendwo betrunken. «
    Und beinahe ebenso niederschmetternd: Mrs. Barbour. Ihre leichte Hand in kniffligen Situationen war mir wohlbekannt– ihre Fähigkeit, delikate Angelegenheiten hinter den Kulissen zu regeln–, und auch wenn sie mich, soweit ich wusste, nicht regelrecht belogen hatte, musste sie doch Informationen ausgelassen und zurechtgeschliffen haben. Alle

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