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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Nachbarn zu alarmieren, als Emily nach sehr langer Zeit, wie mir schien, an die Tür kam und mich durch den Spalt anschaute. Sie trug einen vergammelten Pullover, wie man ihn nur zu Hause trägt, und eine knallig gemusterte Hose von der Sorte, die den Hintern viel größer aussehen lässt. » Kitsey ist nicht hier «, sagte sie ausdruckslos, ohne die Kette abzunehmen.
    » Schön, das weiß ich « , sagte ich gereizt. » Das ist okay. «
    » Ich weiß nicht, wann sie wiederkommt. « Emily hatte ich das erste Mal als mondgesichtige Neunjährige gesehen, als sie mir in der Wohnung der Barbours eine Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie fand, ich sei nicht gut genug für Kitsey.
    » Und, kannst du mich bitte reinlassen? « , sagte ich verärgert. » Ich will auf sie warten. «
    » Sorry. Ist kein guter Augenblick. « Emily trug ihr weizenbraunes Haar immer noch kurz geschnitten und mit einem Pony, wie sie es schon als Kind getan hatte, und der Anblick ihres Kiefers– vorgeschoben wie schon im zweiten Schuljahr– ließ mich an Andy denken, der sie immer gehasst hatte: Emma Dilemma. Emmazipation.
    » Das ist doch albern. Komm, lass mich rein « , sagte ich gereizt, aber sie stand nur ungerührt im Türspalt und schaute mir nicht in die Augen, sondern irgendwo seitlich an den Kopf. » Hör zu, Em, ich möchte nur in ihr Zimmer gehen und mich hinlegen… «
    » Ich glaube, du kommst besser später noch mal. Sorry « , sagte sie in das fassungslose Schweigen hinein, das jetzt folgte.
    » Hör mal, es ist mir egal, was du machst… « Francie, die andere Mitbewohnerin, hielt wenigstens den Anschein eines zivilisierten Umgangs aufrecht. » Ich will dich nicht behelligen. Ich will nur… «
    » Sorry. Ich glaube, es ist besser, du gehst. Denn– denn– hör zu, ich wohne hier « , sagte sie, und ihre Stimme übertönte meine.
    » Du meine Güte. Das ist nicht dein Ernst. «
    » … ich wohne hier! « Ihre Lider flatterten vor Unbehagen. » Das ist meine Wohnung, und du kannst hier nicht einfach hereinplatzen, wann es dir passt. «
    » Nun mach mal halblang! «
    » Und, und « , sie war auch aufgebracht, » hör zu, ich kann dir nicht helfen, es ist wirklich ein schlechter Moment, und du solltest besser einfach gehen. Okay? Sorry. « Sie fing an, die Tür zu schließen. » Wir sehen uns auf der Party. «
    » Was? «
    » Auf eurer Verlobungsparty ? « Emily öffnete die Tür noch einmal ein winziges Stück weit und starrte mich an, sodass ich einen Moment lang ihr aufgewühltes blaues Auge sehen konnte, bevor die Tür ins Schloss fiel.
    XIX
    Ein paar Augenblicke lang stand ich in der plötzlichen Stille, die den Hausflur ausfüllte, und starrte auf den Spion in der geschlossenen Tür. Mir war, als hörte ich Em eine Handbreit hinter der geschlossenen Tür, wo sie genauso schwer atmete wie ich.
    Na, das war’s, du bist von der Liste der Brautjungfern gestrichen, dachte ich, und ich wandte mich ab und polterte demonstrativ laut die Treppe hinunter. Ich war gleichzeitig wütend und seltsam erheitert von diesem Zwischenfall, der eine Bestätigung all meiner lieblosen Gedanken war, die ich je für Emily gehegt hatte. Kitsey hatte sich schon mehr als einmal für Ems » brüske Art « entschuldigt, aber das hier setzte dem Ganzen doch, um es mit Hobies Worten zu sagen, die Krone auf. Wieso war sie nicht mit den anderen im Kino? Hatte sie einen Mann bei sich? Em hatte zwar dicke Waden und war nicht besonders attraktiv, aber sie hatte einen Freund, einen Blindgänger namens Bill, der im Management bei der Citibank arbeitete.
    Schwarz glänzende Straßen. Ich trat aus dem Haus und drückte mich in den Eingang des Blumengeschäfts nebenan, um meine Mailbox abzuhören und Kitsey für alle Fälle eine SMS zu schicken, bevor ich Richtung Downtown fuhr. Wenn sie gerade aus dem Kino käme, könnte ich mich mit ihr noch zum Essen und auf einen Drink treffen (allein, ohne die Freundinnen, denn dieses schräge Erlebnis verlangte geradezu danach), um mich– unbedingt spekulativ und humorig – über Ems Benehmen zu unterhalten.
    Hell erleuchtetes Schaufenster. Leichenkammerlicht aus der Kühlvitrine. Hinter der neblig beschlagenen Scheibe, an der das Wasser rieselte, geflügelte Orchideenrispen, bebend im Luftzug des Ventilators: geisterhaft weiß, lunar, engelsgleich. Weiter vorn standen die abgefahreneren Exemplare, die zum Teil ein paar tausend Dollar kosteten: haarig und geädert,

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