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Der Distelfink

Der Distelfink

Titel: Der Distelfink Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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fragen darf? «
    » Ich… « Wieder schüttelte ich den Kopf. Es war unmöglich, darauf näher einzugehen. » Ist kompliziert. «
    » Na, ich weiß nicht, was er von dir will. Wenn du Hilfe brauchst, kriegst du natürlich, das verspreche ich dir. Von Horst auch, möchte ich behaupten– er mag dich. War nett, ihn gestern so aufmerksam und redselig zu sehen. Ich glaube, er kennt nicht so viele Leute, bei denen er er selbst sein und mit denen er seine Interessen teilen kann. Ist traurig für ihn. Sehr intelligent, Horst. Hat viel zu geben. » Aber « , er sah auf die Uhr, » sorry, ich will nicht unhöflich sein, aber ich muss weg. Bin sehr hoffnungsvoll bei dem Bild! Ich glaube, möglicherweise kriegen wir es zurück. « Er stand auf und klopfte sich mit der Faust tapfer ans Brustbein. » Mut! Wir sprechen uns. «
    » Boris? «
    » Hm? «
    » Was würdest du tun, wenn deine Freundin dich betrügt? «
    Boris war auf dem Weg zur Tür, aber jetzt blieb er wieder stehen. » Noch mal? «
    » Wenn du dächtest, dass deine Freundin dich betrügt? «
    Boris runzelte die Stirn. » Du bist nicht sicher? Hast keinen Beweis? «
    » Nein « , sagte ich, aber dann wurde mir klar, dass diese Antwort nicht ganz der Wahrheit entsprach.
    » Dann musst du sie fragen, ganz direkt « , sagte Boris mit Entschiedenheit. » In einem freundlichen, ungeschützten Augenblick, wenn sie nicht damit rechnet. Im Bett zum Beispiel. Wenn du sie im richtigen Moment erwischst– selbst wenn sie lügt, weißt du Bescheid. Sie wird die Nerven verlieren. «
    » Nicht diese Frau. «
    Boris lachte. » Na, dann hast du eine gute gefunden. Ein seltenes Exemplar! Ist sie schön? «
    » Ja. «
    » Reich? «
    » Ja. «
    » Intelligent? «
    » Die meisten Leute würden sagen, ja. «
    » Herzlos? «
    » Ein bisschen. «
    Boris lachte. » Und du liebst sie, ja. Aber nicht zu sehr. «
    » Warum sagst du das? «
    » Weil du nicht wütend wirst, nicht wild, nicht traurig. Du rennst nicht brüllend los, um sie mit bloßen Händen zu erwürgen. Das bedeutet, deine Seele ist nicht wirklich mit ihrer vermischt. Und das ist gut. Meine Erfahrung ist: Halte dich fern von denen, die du zu sehr liebst. Das sind diejenigen, die dich umbringen werden. Was du brauchst, um glücklich auf der Welt zu leben, ist eine Frau, die ein eigenes Leben hat und dich deins leben lässt. «
    Er klopfte mir zweimal auf die Schulter und ging, und ich starrte in die Silberschatulle und empfand neue Verzweiflung über mein verpfuschtes Leben.
    XXI
    Als Kitsey mir an diesem Abend die Tür öffnete, war sie nicht ganz so gefasst, wie sie es hätte sein können. Sie redete von mehreren Dingen gleichzeitig: sie wollte ein neues Kleid kaufen, hatte es anprobiert, sich nicht entscheiden können und es zurücklegen lassen. Riesenunwetter in Maine, tonnenweise Bäume umgestürzt, die alten auf der Insel, Onkel Harry hat angerufen, so traurig! » Ach, Darling « , sie flatterte anbetungswürdig hin und her und streckte sich auf die Zehenspitzen, um die Weingläser herunterzuholen, » könntest du wohl? Bitte? « Em und Francie, ihre Mitbewohnerinnen, waren nirgends zu sehen, als hätten sie und ihre Freunde sich vor meiner Ankunft weise verdrückt. » Ach, lass nur, ich hab sie schon. Hör mal, ich hatte eine ganz tolle Idee. Lass uns ein Curry essen, bevor wir bei Cynthia vorbeigehen. Ich hab total Lust drauf. Wie heißt diese Kaschemme auf der Lexington, wo du mit mir gewesen bist? Das Mahal So-und-so?
    » Du meinst diese Absteige? « , sagte ich mit versteinerter Miene. Ich hatte mir nicht mal die Mühe gemacht, den Mantel auszuziehen.
    » Wie bitte? «
    » Mit dem fettigen Rogan Josh. Und den alten Leuten, die du so deprimierend fandst. Den Bloomingdale’s-Verkäufern. « Das » Jal Mahal Restuarant « (so hieß es wirklich) war ein schäbiger Inder, versteckt im ersten Stock einer Ladenreihe an der Lexington Avenue, in dem sich nichts geändert hatte, seit ich klein war– nicht die Pappaufsteller, nicht die Preise, nicht der von einem Wasserschaden an den Fenstern rosa verblasste Teppich, nicht mal die Kellner mit ihren schwerfälligen, seligen, sanften Gesichtern, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnern konnte, als meine Mutter und ich nach dem Kino dort Samosas und Mango-Eis gegessen hatten. » Na klar, warum nicht? › Das traurigste Restaurant von Manhattan ‹ . Eine tolle Idee. «
    Sie drehte sich zu mir um und runzelte die Stirn. » Was auch immer. Das Baluchi ist näher. Oder wir

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