Der Distelfink
heilen– › ein schadhaftes Muladhara ‹ – kein Witz, das hat sie bei mir diagnostiziert–, › entwurzelt… ‹ , › Einschnürung des Herzens… ‹ , › fragmentiertes Energiefeld… ‹ . Ich stehe nur da mit einem Cocktail und kümmere mich um meine eigenen Sachen, und da kommt sie angeschwebt und erzählt mir, was ich alles essen muss, um mich wieder zu erden… « Ich sah, dass ich dabei war, sie zu verlieren. » Entschuldige, ich komme ein wenig vom Thema ab. Es ist nur– na ja, wir sprachen so darüber, und das ganze Zeug ging mir höllisch auf die Nerven. Hobie stand auch da mit einem großen alten Scotch, und er sagte: › Was ist denn mit mir, Barbara? Sollte ich vielleicht Wurzelgemüse essen? Mich auf den Kopf stellen? ‹ , und sie tätschelte ihm nur den Arm und sagte: › Oh, keine Sorge, James, du BIST ein fortgeschrittenes Wesen.‹ «
Das brachte sie zum Lachen.
» Aber Welty– Welty war das auch. Ein › Fortgeschrittenes Wesen ‹ . Irgendwie– er machte keinen Witz. Alles ganz ernst. Ganz präzise. Diese Geschichten, die Barbara da erzählt– Guru So-und-so legt ihr in Burma die Hand auf den Kopf, und in diesem einen Augenblick wurde sie von Wissen erfüllt und war ein anderer Mensch… «
» Na, ich meine, Everett– natürlich ist er Krishnamurti nie begegnet, aber… «
» Ja, ja. « Everett– wieso mich das so sehr ärgerte, wusste ich nicht– war auf einem guru-orientierten Internat in Süd-England gewesen, wo Fächer unterrichtet wurden, die Namen hatten wie › Die Erde beschützen und an andere denken ‹ . » Aber was ich sagen will– es ist, als ob Weltys Energie oder sein Kraftfeld– Gott, es klingt so kitschig, aber ich weiß nicht, wie man es sonst nennen soll–, als wäre es von dieser Stunde an bei mir gewesen. Ich war da für ihn, und er war da für mich. Irgendwie permanent. « Ich hatte es bisher noch nie irgendjemandem gegenüber wirklich ausgesprochen, aber ich empfand es zutiefst so. » Wenn ich an ihn denke, ist er anwesend, seine Persönlichkeit ist bei mir. Ich meine, kaum war ich zu Hobie gekommen, war ich auch schon oben im Laden, als hätte etwas mich dort hineingezogen. Ganz instinktiv, ich kann’s nicht anders erklären. Denn– war ich an Antiquitäten interessiert? Nein. Warum sollte ich? Und trotzdem war ich da. Ging seine Inventarliste durch. Las seine Randnotizen in den Versteigerungskatalogen. Seine Welt, seine Sachen, alles da oben– es zog mich an wie eine Flamme. Ich hatte nicht mal danach gesucht– eher hatte es mich gesucht. Und ich meine– ich war noch keine achtzehn, und niemand hat es mir beigebracht, es war, als wüsste ich längst Bescheid, und ich war allein da oben und machte Weltys Arbeit. Als ob « , rastlos schlug ich die Beine übereinander, » also, ist dir schon mal aufgefallen, wie verrückt es war, dass er mich zu euch nach Hause geschickt hat? Zufall– vielleicht. Aber es kam mir nicht vor wie ein Zufall. Es war, als ob er gesehen hätte, wer ich war, und als ob er mich exakt dahin schickte, wo ich hingehörte und zu wem ich gehörte. Also, ja « , allmählich kam ich wieder zu mir; ich redete ein bisschen zu schnell, » ja, sorry. Ich wollte nicht so losplappern. «
» Das ist okay. «
Schweigen. Ihre Augen schauten in meine. Aber anders als Kitsey– die immer wenigstens teilweise woanders war, die ernsthafte Gespräche verabscheute, die sich in einer ähnlichen Situation jetzt nach der Kellnerin umsehen oder irgendeine unbekümmerte und/oder komische Bemerkung machen würde, damit der Augenblick nicht allzu intensiv wurde–, anders als Kitsey hörte sie zu, sie war bei mir, und ich sah nur zu deutlich, wie traurig sie über meinen Zustand war, eine Traurigkeit, die nur noch schlimmer dadurch wurde, dass sie mich wirklich gern hatte: Wir hatten vieles gemeinsam, eine geistige, aber auch eine emotionale Verbindung, sie genoss meine Gesellschaft, sie vertraute mir, sie wünschte mir Gutes, sie wollte vor allem meine Freundin sein, und während manche Frauen sich jetzt gebauchpinselt gefühlt und an meinem Elend erfreut hätten, war es für sie nicht amüsant zu sehen, wie zerrissen ich ihretwegen war.
XXIX
Am nächsten Tag– dem Tag der Verlobungsparty– war alle Nähe des vergangenen Abends dahin. Geblieben war (beim Frühstück, bei unserem kurzen Hallo im Korridor) das frustrierende Wissen, dass ich sie nicht noch einmal für mich allein haben würde. Wir gingen unbeholfen miteinander um, stießen beim
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