Der Distelfink
Musikerin, und das meine ich gar nicht herablassend, aber sie konnte in der Bläsersektion kaum das Tempo halten, als wir klein waren, und jetzt spielt sie bei den Cleveland Philharmonikern, und das regt mich mehr auf, als ich es jemals zugeben würde. Aber dagegen gibt es kein Medikament, oder? «
» Äh… « Tatsächlich gab es doch eins, und Jerome, oben am Adam Clayton Powell, machte blühende Geschäfte damit.
» Die Akustik– das Publikum– das löst etwas aus– ich gehe nach Hause, ich hasse alle Welt, ich rede mit mir selbst, streite mit mir in verschiedenen Stimmen und bin tagelang aufgebracht. Und– das hab ich dir ja erzählt: Unterricht geben, das hab ich versucht, und es ist nichts für mich. « Pippa brauchte nicht zu arbeiten, dank Tante Margarets und Onkel Weltys Geld. (Everett arbeitete auch nicht, aus demselben Grund. Die Sache mit dem » Musikbibliothekar « war zwar ursprünglich als umwerfende Karriereentscheidung präsentiert worden, aber mir war inzwischen klar, dass es sich dabei eher um eine Art unbezahltes Praktikum handelte, während Pippa die Rechnungen bezahlte.) » Teenager– na, ich gehe lieber gar nicht darauf ein, was für Qualen das sind, wenn ich sehe, wie sie aufs Konservatorium verschwinden oder für den Sommer nach Mexiko City gehen, um da im Symphonieorchester zu spielen. Und die Kleineren sind nicht ernsthaft genug. Ich ärgere mich über sie, weil sie Kinder sind. Für mich ist es, als nähmen sie es zu leicht. Sie werfen weg, was sie haben. «
» Unterrichten ist aber auch ein beschissener Job. Ich hätte auch keine Lust dazu. «
» Ja, aber « , sie trank einen Schluck Wein, » wenn ich nicht spielen kann, was bleibt dann noch? Ich meine– ich bin ja von Musik umgeben, sozusagen, schon durch Everett, und ich gehe auch immer noch zur Schule und mache Kurse– aber ganz ehrlich, ich mag London nicht so sehr, es ist dunkel und regnerisch, und ich habe nicht viele Freunde da, und in meiner Wohnung höre ich manchmal nachts jemanden weinen, nur so ein schreckliches, brüchiges Weinen von nebenan, und ich– ich meine, du hast etwas gefunden, das du gern tust, und darüber bin ich sehr froh, denn manchmal frage ich mich wirklich, was ich mit meinem Leben anfangen soll. «
» Ich… « Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. » Komm wieder nach Hause. «
» Nach Hause? Du meinst, hierher? «
» Natürlich. «
» Und was ist mit Everett? «
Dazu hatte ich nichts zu sagen.
Sie musterte mich kritisch. » Du magst ihn eigentlich nicht, was? «
» Ähm… « Warum lügen? » Nein. «
» Aber wenn du ihn besser kennen würdest, würdest du ihn auch mögen. Er ist ein guter Kerl. Sehr entspannt, sehr ausgeglichen. «
Dazu konnte ich nichts sagen. Ich war nichts von alldem.
» Außerdem, London– also, ich habe schon daran gedacht, nach New York zurückzugehen… «
» Wirklich? «
» Natürlich. Ich vermisse Hobie. Sehr. Im Scherz sagt er immer, er könnte mir ein Apartment mieten für das, was wir am Telefon ausgeben. Natürlich lebt er noch in den alten Zeiten, als ein Ferngespräch nach London fünf Dollar die Minute oder so etwas kostete. Ungefähr in jedem Telefongespräch versucht er, mich zu überreden zurückzukommen… Na, du kennst ja Hobie, er sagt es nie direkt, macht aber dauernd Andeutungen und redet von Jobs, die angeboten werden, Stellen an der Columbia und so weiter… «
» Wirklich? «
» Ja– auf einer gewissen Ebene kann ich selbst nicht fassen, dass ich so weit weg lebe. Welty war derjenige, der mich zum Musikunterricht gebracht und mit mir ins Symphoniekonzert gegangen ist, aber Hobie war immer zu Hause, weißt du, er ist heraufgekommen und hat mir nach der Schule was zu essen gemacht und mir geholfen, für mein Biologieprojekt Ringelblumen zu pflanzen. Noch heute– wenn ich eine schlimme Erkältung habe? wenn ich nicht mehr weiß, wie man Artischocken kocht oder Kerzenwachs aus dem Tischtuch entfernt? wen rufe ich da an? Ihn. Aber « , bildete ich es mir ein, oder brachte der Wein sie ein bisschen in Wallung?, » soll ich dir die Wahrheit sagen? Weißt du, warum ich nicht öfter zurückkomme? In London « , musste sie gleich weinen?, » würde ich es niemandem erzählen. Aber in London denke ich auch wenigstens nicht jede Sekunde daran. › Das ist der Weg, auf dem ich am Tag davor nach Hause gegangen bin. ‹ › Hier haben Welty und Hobie und ich zum vorletzten Mal zusammen zu Abend gegessen. ‹ Dort denke ich wenigstens
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