Der Distelfink
meinen Arm hochriss, und ich hörte auch den Schuss nicht, bevor ich den Rückstoß spürte und die Hülse mir ins Gesicht flog und ich noch einmal schoss, die Augen halb geschlossen in dem Lärm, und ein Ruck durchfuhr meinen Arm mit jedem Schuss, der Abzug hatte einen Druckpunkt, er war steif wie ein Türriegel, der zu schwergängig war, Autofenster zerplatzten, Martin mit einem erhobenen Arm, explodierendes Sicherheitsglas und Brocken von Beton, die aus einem Pfeiler spritzten. Ich hatte Martin an der Schulter erwischt, der weiche graue Stoff war dunkel durchtränkt, ein Fleck, der sich ausbreitete, Korditgestank und ein ohrenbetäubendes Echo, das mich so tief in meinen Schädel zurückstieß, dass es weniger ein Geräusch auf meinen Trommelfellen und vielmehr eine Wand war, die in meinem Kopf einstürzte und mich in eine harte, innere Dunkelheit der Kindheit zurücktrieb, und Martins Vipernaugen sahen mich an, er sackte vornüber und ließ seine Pistole auf das Wagendach sinken, als ich noch einmal schoss und ihn über dem Auge traf, eine rote Explosion, die mich zusammenzucken ließ, und dann hörte ich irgendwo hinter mir schnelle klatschende Schritte auf dem Beton– der Junge, der weiße Mantel, rannte die Ausfahrtrampe zur Straße hinauf, mit dem Bild unter dem Arm. Das Echo hallte von gekachelten Wänden wider, und fast hätte ich auf ihn geschossen, aber irgendwie war es ein ganz anderer Augenblick, ich hatte mich vom Wagen abgewandt, zusammengekrümmt, die Hände auf die Knie gestützt, und die Pistole lag auf dem Boden, ohne dass ich mich erinnerte, sie fallen gelassen zu haben, nur das Geräusch war da, das Klappern auf dem Boden, es klapperte weiter, und ich hörte immer noch die Echos und spürte die Vibration der Waffe in meinem Arm, würgend, vornübergebeugt, mit Frits’ Blut auf meiner Zunge, kriechend und kräuselnd.
Aus der Dunkelheit das Geräusch schneller Schritte, und wieder konnte ich nichts sehen, mich nicht bewegen, alles schwarz an den Rändern, und ich fiel, obwohl ich nicht fiel, denn irgendwie saß ich auf einer niedrigen Kachelmauer mit dem Kopf zwischen den Knien und schaute hinunter auf die klare rote Spucke oder Kotze auf dem glänzenden, mit Epoxid beschichteten Betonboden zwischen meinen Schuhen, und Boris, da kam Boris, atemlos, keuchend, blutüberströmt zurückgerannt, und seine Stimme war eine Million Meilen weit weg, Potter, ist alles okay? er ist weg, ich hab ihn nicht mehr erwischt, er ist abgehauen.
Ich zog die flache Hand über das Gesicht und betrachtete meine rot verschmierte Handfläche. Boris redete immer noch eindringlich auf mich ein, aber obwohl er dabei an meiner Schulter rüttelte, waren es hauptsächlich Lippenbewegungen und sinnlose Laute hinter schalldichtem Glas. Der Rauch aus der abgefeuerten Pistole hatte sonderbarerweise den gleichen anregenden Ammoniakgeruch wie ein Gewitter in Manhattan, wie der nasse Großstadtasphalt. Die Tür eines hellblauen Minis, gesprenkelt wie ein Rotkehlchenei. Ein Stück näher, dunkel unter Boris’ Wagen hervorkriechend, breitete sich eine seidig glänzende Pfütze von ungefähr einem Meter Durchmesser langsam aus und kroch voran wie eine Amöbe, und ich fragte mich, wann sie meinen Schuh erreichen und was ich dann tun würde.
Hart, aber ohne Zorn schlug Boris mir die Faust seitlich an den Kopf: eine unpersönliche Kopfnuss ohne jede Hitzigkeit. Es war, als wollte er mich reanimieren.
» Komm schon « , sagte er. » Deine Brille. « Eine kurze Kopfbewegung.
Meine Brille– blutbespritzt, aber nicht zerbrochen– lag neben meinem Fuß auf dem Boden. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich sie verloren hatte.
Boris hob sie selbst auf, wischte sie an seinem Ärmel sauber und reichte sie mir.
» Komm. « Er nahm mich beim Arm und zog mich hoch. Seine Stimme klang gleichmütig und beruhigend, obwohl er voller Blut war und ich spürte, wie seine Hände zitterten. » Alles vorbei. Du hast uns gerettet. « Ein Tinnitus von der Schießerei sang in meinen Ohren wie ein Heuschreckenschwarm. » Hast du gut gemacht. Jetzt hierhin– schnell. «
Er führte mich hinter den Glaskasten des Büros, verschlossen und dunkel. An meinem Kamelhaarmantel war Blut, und Boris nahm ihn mir ab wie eine Garderobenfrau, drehte das Innere nach außen und drapierte ihn über einen Betonpfosten.
» Das Ding wirst du loswerden müssen « , sagte er und schüttelte sich. » Hemd auch. Nicht jetzt– später. Jetzt… « Er öffnete eine Tür,
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