Der Doge, sein Henker und Ich
Schimpfkanonaden um. »Rücksicht scheint man hier nicht zu kennen —oder?«
»Ja, Signora. Das machen sie bewußt. Die wollen mich ärgern. Wollen zeigen, daß sie stärker sind. Aber sie kriegen uns nicht weg. Venedig, die Gondeln und wir bleiben.«
»Das will ich auch hoffen.«
Der dunkelhaarige Gondoliere tauchte seine Ruderstange in die trüben Fluten. »Sie lieben unsere Stadt?«
»Sehr.«
»Das freut mich.«
»Ich werde sie genießen, Signore.«
»Danke.« Er lächelte breit. Renate fand, daß er ein sehr attraktiver Mann war. Sie selbst hatte sich immer als häßlich empfunden. Vielleicht hatte es auch nur an ihrer unvorteilhaften Kleidung gelegen, daß man sie stets als graue Maus ansah, aber jetzt fühlte sie sich lockerer. Sie war beim Friseur gewesen und hatte sich zur neuen, modischen Kleidung die passende Frisur machen lassen. Ein enger kurzer Rock lockte Männerblicke an. Die Jacke war weit geschnitten. Grautöne durchzogen als geometrisches Muster den beigefarbenen Grundton.
»Ponte Rialto!« rief der Gondoliere plötzlich und deutete nach vorn. »Wir sind gleich dort, Signorina.«
Das war auch schon zu sehen. Zahlreiche Boote und Gondeln hatten angelegt, um ihren Fahrgästen die Gelegenheit zu geben, eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten von Venedig zu fotografieren. Davon machte auch Renate Gehrmann kräftig Gebrauch. Von beiden Seiten des Kanals liefen die Wege schräg aufeinander zu. Auf der Brücke selbst waren zahlreiche Läden vorhanden, wo Souvenirs aller Art angeboten wurden. Die Architektur beeindruckte die Deutsche ungemein, besonders der gewaltige Rundbogen, den sie unterfahren mußten. Sie trieben langsam weiter. Menschen standen auf der Brücke, sie winkten, und Renate grüßte, wie viele andere auch, zurück.
Sie kamen auch an der nächsten Anlegestelle vorbei, und der Gondoliere fragte, wohin er jetzt fahren sollte. »Sie wollen ja nicht bis zur Piazza San Marco.«
»Nein, ich möchte in die Stadt.«
»Gut, Signora, dann nehmen wir den Rio di Luca.«
»Moment.« Renate schaute auf ihrem Stadtplan nach. Er lag ausgebreitet auf ihren Knien. »Einverstanden, von dort zweigen noch weitere Kanäle ab.«
»Aber erst später.«
Sie lehnte sich zurück. »Fahren Sie bitte hinein.«
Das dauerte nicht mehr lange. Geschickt »bog« der am Heck stehende Gondoliere ab.
Augenblicklich bekam Renate den Eindruck, als wäre sie in einer anderen Welt gelandet. Der Kanal war wesentlich enger, die Brücken entsprechend kürzer. Die Bauten waren nicht mehr so prächtig. Viele Fenster standen in den Häusern offen. Renate hörte Musik und Stimmen.
Boote mit Lebensmitteln lagen an den schmalen Anlegestellen. Auch der Nachschub wurde in Venedig über die Wasserstraßen herangeschafft. Dienstbare Geister luden die Kisten und Pakete aus. Am Campo Manin fuhren sie unter zwei Brücken hinweg und erreichten wenig später einen weiteren Kanal, der nach links abzweigte.
»Können wir dort hinein?« rief sie.
»Ja, aber besonders schön ist es dort nicht…«
»Egal. Ich möchte Venedig von allen Seiten kennenlernen, verstehen Sie?«
»Natürlich, Signora. Ich freue mich auch, daß Sie so denken. Das machen nicht alle.«
Diese Wasserstraße war so eng, daß gerade zwei Gondeln nebeneinander Platz hatten. Hier sahen die Häuser total heruntergekommen aus. Die Fassaden waren alt. An den Wänden bildeten Algen und Moos fast einen dicken, grünen Anstrich. Die Fäulnis breitete sich aus. Es roch nach abgestandenem Wasser. In den Gestank mischten sich Küchengerüche.
Die Motorboote, die hier fuhren, waren so schmal wie Gondeln, aber fast alle hochbeladen. Touristen waren weit und breit nicht zu sehen. Brücken verbanden die einzelnen Ufer. Sie sahen baufällig aus, und an ihren Trägern hatte sich mancher Stein gelockert.
»Hier ist zu sehen, daß Venedig langsam stirbt«, sagte der Gondoliere.
»Es ist schade.«
»Aber man tut doch etwas dagegen«, widersprach Renate.
»Man will es. Das alles ist nur sehr teuer. Vergessen Sie nicht, daß die meisten Fundamente der Häuser aus Holz sind. Diese Fundamente graben sich immer tiefer in den Boden, außerdem verfaulen sie.«
»Will man es nicht mit Beton versuchen?«
»Das ist eine Möglichkeit.« Der Gondoliere richtete sich auf und reckte sich. »Aber ich glaube nicht daran. Noch streiten sich die Experten. Ich werde den Untergang nicht mehr erleben.«
»Seien Sie doch nicht so pessimistisch.«
»Wenn Sie immer hier wohnen würden, blieb
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