Der Doge, sein Henker und Ich
verlassen hatte. Renate gefiel das Schaukeln des Bootes überhaupt nicht. Ihre Angst steigerte sich, und sie merkte auch, daß die Gondel nicht mehr weitertrieb und unter der Brücke zur Ruhe gekommen war.
Auf Händen und Füßen erreichte sie endlich das Heck, wo die Ruderstange wie ein langer Stab aus dem Wasser schaute und an einem nach außenbord reichenden Holzring befestigt war. Sie kroch auf den Platz des Gondoliere, wo sie das Schaukeln noch deutlicher spürte. So behutsam wie möglich richtete sie sich auf und umklammerte mit beiden Händen die Ruderstange.
Das Gerät war ihr fremd. Sie hielt es zunächst nur fest, ohne es zu bewegen. Dabei starrte sie nach vorn, darauf hoffend, Hilfe zu bekommen, aber die schmale Wasserstraße war wie leergefegt.
Schweiß rann über ihr Gesicht. Sie biß sich auf die Lippen. »Verflixt!« flüsterte sie. »Ich muß es schaffen. Ruderstange ins Wasser tauchen und schieben… Reiß dich zusammen, Mädchen!«
Mit diesen Worten machte sie sich selbst Mut, doch mit der Ruderstange kam sie nicht zurecht. Die hatte sich auf dem Grund verhakt. Und während sie noch an der Stange zerrte, umklammerten zwei dunkle, nasse Hände den Bug. Sofort wußte Renate, daß es nicht ihr Gondoliere war, der sich auf diese Weise aus dem Wasser zu ziehen versuchte. Das war ein anderer, eine unheimliche Person, die vor ihr aus dem Kanal stieg.
Ein lebendes Schreckensgemälde, furchtbar anzusehen, grauenvoll und gnadenlos.
Renate wurde von einer nie gekannten Angst überflutet. Ihre Hände rutschten von der Ruderstange ab, in den Beinen spürte sie eine bleierne Schwere. Sie wollte diesen Platz verlassen, ging einen zögernden Schritt nach vorn und knickte ein.
Renate Gehrmann fiel.
Zum Glück landete sie noch in der Gondel. Mit der Stirn prallte sie allerdings auf ihren Sitz. Unter Schmerzen schaute sie nach vorn. Er war da!
Zum erstenmal sah sie ihn ganz, und ihre Angst steigerte sich noch weiter.
Er stand in der Gondel und nahm dabei fast die gesamte Breite ein. In der rechten Hand hielte er ein Breitklingenschwert, von dem das Wasser tropfte. Auf dem Kopf trug er einen Gegenstand, der Ähnlichkeit mit einem Stahlhelm besaß und auch so grau war. Ansonsten war er ganz in Schwarz gekleidet.
Schwarz, die Farbe des Todes…
Unter dem Rand des Helms konnte sie Teile seines Gesichts erkennen. Wenn auch die Stirn durch einen Schatten verdeckt wurde, sah sie trotzdem die blutigen Streifen, die das graue Gesicht netzartig zeichneten. Rotes Netz auf bleigrauem Gesicht!
Auch die Augen zeigten die graue Farbe, und sie waren von einer erschreckenden Düsternis.
Diese Gestalt stand Renate Gehrmann gegenüber und hob ihre gefährliche Waffe bedrohlich an…
***
Jeder Orkan flaut einmal ab. So war es auch bei uns gewesen. Wir brauchten zwar kein schlechtes Gewissen zu haben, ein wenig betreten kamen wir uns schon vor.
Ich stärker als Jane, die sich bei mir einhakte, als wir das Hotel verließen.
»Denkst du an Glenda?« fragte sie und nickte dem Boy zu, der uns die Tür aufhielt.
»Nein, wieso?«
»Man hat ja ein…«
»Ich weiß«, unterbrach ich sie. »Gewissen und so. Aber ich bin mit Glenda nicht verheiratet und habe ihr auch nichts in dieser Hinsicht versprochen.«
»Aber sie liebt dich.«
»Weißt du das so genau?«
Wir waren hinter der Tür stehengeblieben, und ich schaute Jane starr an.
»Vielleicht. Weißt du, als Frau spürt man das.« Sie hob eine Hand und streichelte über meine Wange. »Laß es gut sein, wir sind ja nicht nach Venedig gekommen, um zu turteln wie zwei Verliebte.«
»Stimmt. Suchen wir den Dogen.«
»Und seinen Henker«, fügte Jane hinzu.
Das war leichter gesagt als getan. Einen konkreten Plan konnten wir beide nicht vorweisen. Wir hatten von Torri allerdings die Information bekommen, in welch einem Kanal die Leichen angetrieben worden waren. Es war fast die gleiche Stelle gewesen, jedenfalls waren die Toten innerhalb eines Gewässers aufgetaucht.
Dort wollten wir hin!
Als Fußgänger ist man in Venedig zwar nicht so verloren wie in Los Angeles, aber man kommt schwerlich voran. Wer es eilig hat, der mietet sich ein Boot.
Auch wir wollten uns einen schnellen Flitzer besorgen und hatten das Glück, einen Verleiher in der Nähe des Hotels zu finden. Unser Hotel lag am Rio di Cannonica, nicht weit von der Rückseite der Piazza San Marco entfernt. Durch die zahlreichen Verbindungskanäle konnten wir per Boot unser Ziel erreichen.
Der Vermieter lebte in
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