Der Doktor und das liebe Vieh
von irgendwoher bauchige Gläser zum Vorschein, die seiner Mutter gehörten. Mehrere Abende lang schwenkten wir in ihnen den köstlichen Alkohol und atmeten den Duft ein, bevor wir den Brandy ehrfurchtsvoll schlürften.
Die Versuchung, Tricki als Dauergast zu behalten, war groß, aber ich wußte, wie sehr Mrs. Pumphrey litt, und so fühlte ich mich nach zwei Wochen verpflichtet, ihr telefonisch mitzuteilen, Tricki sei wieder wohlauf und könne jederzeit abgeholt werden.
Wenige Minuten später fuhren dreißig Fuß glänzendes schwarzes Metall vor. Der Chauffeur riß den Wagenschlag auf, und ich konnte undeutlich die Gestalt von Mrs. Pumphrey erkennen, die sich im Innern des großen Wagens fast verlor. Sie hatte die Hände ineinandergekrampft, und ihre Lippen bebten. »Mr. Herriot, bitte, sagen Sie mir die Wahrheit. Geht es ihm wirklich besser?«
»Ja, es geht ihm ausgezeichnet. Bleiben Sie ruhig sitzen – ich hole ihn.«
Ich ging durch das Haus in den Garten. Die Hunde tollten auf dem Rasen umher, und der goldfarbene winzige Tricki jagte mit flatternden Ohren und wedelndem Schwanz bald hierhin, bald dorthin. Binnen zwei Wochen hatte er sich in ein gelenkiges Tier mit festen Muskeln verwandelt. Er hielt prächtig mit der Meute Schritt und streckte sich bei den großen Sprüngen so sehr, daß seine Brust fast den Boden streifte.
Ich trug ihn durch den langen Korridor nach vorn. Der Chauffeur hielt noch immer die Wagentür offen. Als Tricki seine Herrin sah, sprang er mit einem gewaltigen Satz von meinem Arm und sauste auf Mrs. Pumphreys Schoß. »Ooooh!« rief sie erschrocken, und dann mußte sie sich wehren, weil Tricki sie mit Zärtlichkeiten förmlich überschwemmte.
Während dieser Wiedersehensszene half ich dem Chauffeur, die Betten, Kissen, Mäntelchen, Freßnäpfe und Spielsachen herauszutragen – nichts davon war benutzt worden. Als der Wagen anfuhr, beugte sich Mrs. Pumphrey aus dem Fenster. Sie hatte Tränen in den Augen, und ihre Lippen zitterten.
»Lieber Mr. Herriot«, rief sie, »wie kann ich Ihnen nur danken? Dies ist ein Triumph der ärztlichen Kunst!«
Kapitel 16
Mr. Handshaws Miene verriet, daß er mir kein Wort glaubte. Er stand mit zusammengepreßten Lippen da und blickte auf seine Kuh.
»Ein Beckenbruch? Sie wollen mir einreden, daß sie nie mehr aufstehen kann? Sehen Sie doch, wie sie wiederkäut! Ich sage Ihnen, junger Mann – mein Vater hätte sie bald hochgebracht, wenn er noch lebte.«
In meiner damals einjährigen Praxis als Tierarzt hatte ich einiges gelernt, zum Beispiel, daß Bauern schwer zu überzeugen waren – vor allem die Männer aus den Yorkshire Dales.
Und dieses Gerede von seinem Vater! Mr. Handshaw war in den Fünfzigern, und sein Vertrauen in die Geschicklichkeit und das Urteilsvermögen seines seligen Vaters hatte etwas Rührendes. Aber ich hätte sehr gut ohne das auskommen können, denn der Fall brachte schon genügend Unannehmlichkeiten mit sich. Es gibt nämlich kaum etwas, was einem Tierarzt mehr an die Nieren geht als eine Kuh, die nicht aufstehen will. Dem Laien mag es seltsam erscheinen, daß ein offensichtlich von seinen ursprünglichen Beschwerden kuriertes Tier sich trotzdem nicht vom Boden erheben kann, aber es kommt vor. Und eine Milchkuh, die nur liegt, hat logischerweise keine Zukunft.
Die Sache hatte damit angefangen, daß mich Siegfried zu einem Fall von Milchfieber schickte. Dieser plötzlich auftretende Kalziummangel befällt hochergiebige Tiere unmittelbar nach dem Kalben und verursacht Kollaps und anhaltendes Koma. Als ich Mr. Handshaws Kuh zum erstenmal sah, lag sie regungslos ausgestreckt auf der Seite, und ich mußte sehr genau hinschauen, um mich zu vergewissern, daß sie nicht tot war.
Aber ich holte vertrauensvoll meine Kalziumflaschen hervor, denn glücklicherweise hatte ich mein Examen gerade zu dem Zeitpunkt gemacht, als die Gelehrten endlich Herr über dieses bis dahin tödliche Phänomen geworden waren. Mit Hilfe der Kalziumtherapie konnte man innerhalb weniger Minuten ein Tier vor dem unmittelbaren Tod bewahren. Das erforderte nur ein Minimum an Geschicklichkeit, machte aber stets großen Eindruck.
Als ich zwei Injektionen gemacht hatte – die eine intravenös, die andere subkutan – und Mr. Handshaw mir half, das Tier auf die Seite zu rollen, war bereits eine deutliche Besserung eingetreten. Die Kuh blickte umher und schüttelte den Kopf, als frage sie sich, wo sie in den letzten Stunden gewesen sei. Ich war sicher, daß
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