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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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es nicht lange dauern würde, bis sie wieder auf den Beinen stand. Aber ich konnte nicht warten, denn auch anderswo wurde ich gebraucht.
    »Rufen Sie mich an, falls sie heute mittag noch nicht wieder hoch ist«, sagte ich pro forma. Für mich stand fest, daß ich hier nicht mehr benötigt wurde.
    Als der Bauer mittags anrief, um mir zu sagen, daß die Kuh noch immer lag, nahm ich das ziemlich gelassen hin. Manche Tiere brauchten eben eine zusätzliche Injektion. Ich fuhr hin und spritzte nochmals Kalzium.
    Auch als ich am nächsten Tag erfuhr, daß sie noch immer nicht aufgestanden war, machte ich mir keine Sorgen. Mr. Handshaw dagegen, der mit hochgezogenen Schultern neben seiner Kuh stand, war tief enttäuscht über meinen Mangel an Erfolg.
    »Wird Zeit, daß sie sich aufrappelt. Ewig kann sie hier doch nicht liegen. Können Sie ihr denn nichts geben? Ich habe ihr heute morgen schon eine Flasche Wasser ins Ohr gegossen, aber nicht mal das hat geholfen.«
    »Sie haben ihr...?«
    »Kaltes Wasser ins Ohr gegossen. Mein Vater kriegte damit jede Kuh wieder auf die Beine, und er verstand was von Tieren.«
    »Das bezweifle ich nicht«, sagte ich kühl. »Aber ich halte eine weitere Injektion für wirksamer.«
    Der Bauer sah mürrisch zu, wie ich das Kalzium injizierte. Die Prozedur hatte ihre Magie eingebüßt.
    Als ich die Spritze einpackte, sagte ich, sehr um Herzlichkeit bemüht: »Ich würde mir keine Gedanken machen. Viele Kühe bleiben ein oder zwei Tage liegen – morgen früh wird sie wahrscheinlich wieder umherspazieren.«
    Das Telefon klingelte kurz vor dem Frühstück, und mein Magen krampfte sich zusammen, als ich Mr. Handshaws Stimme hörte. Sie klang düster. »Es hat sich nichts geändert. Sie liegt da und frißt, steht aber nicht auf. Was wollen Sie jetzt machen?«
    Ja, was soll ich jetzt machen, dachte ich, als ich zum Hof des Bauern fuhr. Die Kuh lag nun schon achtundvierzig Stunden – es war im höchsten Grade peinlich.
    Der Bauer ging prompt zur Attacke über. »Mein Vater hat immer gesagt, wenn sie so daliegen, haben sie einen Wurm im Schwanz, und dann hilft nur eins: das Schwanzende abhacken.«
    Dieser Hinweis trug nicht dazu bei, meine Stimmung zu heben. Ich hatte schon früher Ärger mit diesem Mythos gehabt. Besonders tückisch daran war, daß Leute, die diese Barbarei betrieben, oft auf gute Erfolge verweisen konnten – wenn man das Schwanzende abhackt, berührt ja der Stumpf den Boden, und der dabei entstehende Schmerz hat schon so manche widerspenstige Kuh auf die Beine gebracht.
    »Es ist überhaupt kein Wurm im Schwanz, Mr. Handshaw«, sagte ich. »Und finden Sie es nicht grausam, einer Kuh den Schwanz abzuhacken?«
    Der Bauer kniff die Augen zusammen. »Aber was wollen Sie denn unternehmen, in Dreiteufelsnamen? Irgendwie müssen wir die Kuh doch hochkriegen.«
    Ich holte tief Luft. »Also das Milchfieber hat sie zweifellos überstanden, denn sie frißt gut und sieht recht zufrieden aus. Wahrscheinlich ist es eine leichte rückwärtige Lähmung. Noch mehr Kalziumspritzen sind sinnlos, ich werde es lieber mit einem Aufputschmittel versuchen.« Ohne die geringste Hoffnung machte ich die Spritze zurecht. Ich hatte nicht einen Funken Vertrauen zu dem Stimulans, aber ich konnte ja nicht einfach die Hände in den Schoß legen.
    Als ich mich zum Gehen wandte, rief Mr. Handshaw mir nach: »He, Mister, da fällt mir gerade was ein. Mein Vater hat viele Kühe auch dadurch hochgekriegt, daß er ihnen ins Ohr brüllte. Ich hab keine sehr kräftige Stimme, aber wollen Sie’s nicht versuchen?«
    Es war ein bißchen spät, mich auf meine Würde zu berufen. Ich ging also zu dem Tier, packte es beim Ohr, beugte mich vor und schrie aus vollem Hals in die haarige Tiefe. Die Kuh hielt im Kauen inne und sah mich fragend an; dann sanken ihre Lider herab, und sie kaute zufrieden weiter. »Wir werden ihr noch einen Tag Zeit lassen«, sagte ich müde. »Und wenn sie morgen immer noch so daliegt, werden wir versuchen, sie hochzuhieven. Könnten Sie ein paar Nachbarn bitten, mit anzufassen?«
    Als ich an diesem Tag zu meinen anderen Patienten fuhr, war ich voller Minderwertigkeitsgefühle. Verdammte Geschichte! Wir schrieben das Jahr 1938, und meine Möglichkeiten waren begrenzt. Heutzutage gibt es auch noch Kühe mit Milchfieber, die nicht aufstehen wollen, aber der Tierarzt verfügt über eine viel größere Auswahl an Hilfsmitteln, wenn das Kalzium nicht wirkt.
    Wie ich erwartet hatte, brachte der nächste Tag

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