Der Doktor und das liebe Vieh
beschädigt zu sein. Es ist hoffnungslos, fürchte ich.« Obwohl ich eine schlechte Nachricht verkündete, empfand ich es als Erleichterung, daß ich eine vernünftige Diagnose zu bieten hatte.
Mr. Handshaw starrte mich an. »Hoffnungslos? Wieso das?«
»Tut mir leid«, sagte ich, »aber so ist es nun einmal. Sie können nichts weiter tun, als das Tier zum Schlachter zu bringen. Es hat keine Kraft in den Hinterbeinen und wird nie wieder aufstehen.«
Das brachte Mr. Handshaw endgültig auf die Palme, und er hielt eine längere Rede. Er war nicht eigentlich unfreundlich oder beleidigend, aber er wies mit Nachdruck auf meine Unzulänglichkeit hin und beklagte von neuem die Tatsache, daß sein Vater nicht mehr am Leben war und alles in Ordnung bringen konnte. Die anderen Bauern standen um uns herum und genossen jedes Wort.
Als Mr. Handshaw mit seiner Rede fertig war, ging ich fort. Für mich gab es nichts mehr zu tun, und irgendwann würde der Bauer einsehen müssen, daß ich recht hatte.
Am nächsten Morgen war mein erster Gedanke die Kuh. Es war eine fatale Angelegenheit, aber wenigstens bestanden jetzt keine Zweifel mehr, und das fand ich beruhigend. Ich kannte die Ursache der Lähmung, ich wußte, es gab keine Hoffnung, und ich brauchte mir über nichts mehr den Kopf zu zerbrechen.
Ich war überrascht, Mr. Handshaws Stimme schon so bald wieder am Telefon zu hören. Ich hatte geglaubt, es würde zwei oder drei Tage dauern, bis er einsah, daß er im Unrecht war.
»Ist da Mr. Herriot? Ja, dann also guten Morgen. Ich rufe nur an, um Ihnen mitzuteilen, daß meine Kuh wieder auf den Beinen ist und es ihr gutgeht.«
Ich umklammerte den Hörer mit beiden Händen. »Was? Was sagen Sie?«
»Ich sagte, meine Kuh ist wieder in Ordnung. Spazierte heute morgen kreuzfidel im Stall umher. Kein Mensch würde glauben, daß ihr irgendwas gefehlt hat.« Nach einer Pause fügte er vorwurfsvoll wie ein strenger Schulmeister hinzu: »Und Sie haben dagestanden und behauptet, sie würde nie wieder aufstehen.«
»Aber... aber...«
»Sie wundern sich, wie ich das gemacht habe? Wissen Sie, mir fiel auf einmal ein anderer alter Trick meines Vaters ein. Ich besorgte mir das Fell von einem frischgeschlachteten Schaf und legte es der Kuh auf den Rücken. Im Handumdrehen war sie hoch – Sie müssen herkommen und sich das anschauen. War doch ein wunderbarer Mann, mein Vater.«
Ich ging wie betäubt ins Eßzimmer, um meinen Chef zu konsultieren. Siegfried war um drei Uhr nachts durch eine kalbende Kuh aus dem Schlaf gerissen worden und sah völlig zerknittert aus. Er hörte mir schweigend zu, während er sein Frühstück verzehrte. Dann schob er den Teller beiseite und goß sich eine letzte Tasse Kaffee ein. »Pech, James. Das alte Schafsfell – haben Sie noch nie davon gehört? Komisch, Sie sind doch schon über ein Jahr in den Dales. Wahrscheinlich kommt es allmählich aus der Mode. Wissen Sie, es steckt ein Fünkchen Vernunft darin wie bei vielen dieser alten Heilmittel. Sie können sich ja vorstellen, daß unter einem frischen Schafsfell eine ganz schöne Hitze herrscht, und folglich wirkt es wie ein Breiumschlag. Wenn eine Kuh aus purer Bosheit so daliegt, steht sie oft auf, nur um es loszuwerden.«
»Aber verdammt, was ist mit dem Beckenbruch? Ich sage Ihnen, es knarrte und kratzte und wackelte hörbar und fühlbar.«
»Mein lieber James, Sie sind nicht der erste, der darauf reingefallen ist. Manchmal ziehen sich die Beckenbänder erst ein paar Tage nach dem Kalben wieder zusammen, und in der Zwischenzeit liegt der Verdacht auf einen Bruch nahe.«
»O Gott«, stöhnte ich und starrte auf das Tischtuch. »Was habe ich da zusammengepfuscht.«
»Nein, nein.« Siegfried zündete sich eine Zigarette an. »Diese alte Kuh spielte wahrscheinlich gerade mit dem Gedanken aufzustehen, als Handshaw ihr das Fell über den Rücken warf. Sie hätte ebensogut nach einer Ihrer Injektionen aufstehen können, und dann wären Sie der große Mann gewesen. Wissen Sie noch, was ich Ihnen damals gesagt habe, als Sie zu uns kamen? Ein Tierarzt kann noch so gescheit sein, er läuft jeden Augenblick Gefahr, sich unsterblich zu blamieren. Keiner von uns ist davor sicher, also vergessen Sie die Geschichte, James.«
Aber das war leichter gesagt als getan. Diese Kuh wurde zu einer Berühmtheit in unserer Gegend. Mr. Handshaw zeigte sie voller Stolz dem Postboten, dem Polizisten, den Getreidehändlern, den Lastwagenfahrern, den Beamten des
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