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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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nicht, was ich tun sollte; der Berufsethiker in mir rebellierte gegen die Zumutung, mich mit diesem offensichtlich kerngesunden kleinen Wesen zu befassen. Schon war ich im Begriff zu sagen, daß alles in Ordnung sei, als Mrs. Pumphrey flötete: »Komm, Nugent, sei ein braver Junge und laß dich von Onkel Herriot untersuchen.«
    Das genügte. Ich ergriff den bindfadendünnen Schwanz, so daß Nugent fast senkrecht nach unten hing, und maß die Temperatur. Dann horchte ich feierlich sein Herz und die Lungen ab, schaute ihm in die Augen, tastete seine Gliedmaßen ab und beugte seine Gelenke.
    Der Rücken der Köchin strahlte Mißbilligung aus, aber ich ließ mich nicht beirren. Einen Hund zum Neffen zu haben, brachte unschätzbare Vorteile mit sich; da waren nicht nur die vielen Geschenke – und ich schmeckte noch immer die herrlichen Bücklinge, die Tricki mir aus Whitby geschickt hatte –, da war auch der Hauch von Luxus in meinem rauhen Leben: der Sherry vor dem Lunch, der warme Platz an Mrs. Pumphreys Kamin. Wenn nun noch ein Schweinchen als Neffe Nr. 2 aufkreuzte, sollte Onkel Herriot der letzte sein, der sich in das unerforschliche Walten des Schicksals einmischte.
    Als die Untersuchung beendet war, wandte ich mich Mrs. Pumphrey zu, die ängstlich auf das Verdikt wartete. »Durch und durch gesund«, sagte ich in munterem Ton. »Sie haben da wirklich ein sehr hübsches Schwein. Aber eins muß ich Ihnen sagen – es kann nicht im Haus leben.«
    Zum erstenmal drehte die Köchin sich um, und ich las in ihren Augen einen stummen Appell. Ich fühlte mit ihr, denn die Ausscheidungen des Schweins riechen besonders intensiv, und selbst ein so kleines Geschöpf wie Nugent konnte seine Anwesenheit in der Küche nicht verleugnen.
    Mrs. Pumphrey war zunächst entsetzt über den Gedanken, Nugent ins Freie zu verbannen, aber als ich ihr versicherte, er werde keine Lungenentzündung bekommen und draußen viel glücklicher und gesünder leben, gab sie ihre Zustimmung.
    Ein Tischler wurde beauftragt, in einer Ecke des Gartens einen luxuriösen Schweinestall zu bauen. Ich sah zu, wie Nugent dort seinen Einzug hielt und sich selig auf seinem Lager aus sauberem Stroh zusammenrollte. Sein Trog wurde zweimal täglich mit dem besten Futter gefüllt, und es mangelte ihm nie an Extraleckerbissen, etwa einer saftigen Möhre oder ein paar Kohlblättern. Jeden Tag wurde er für eine Stunde hinausgelassen, um mit Tricki im Garten herumzutollen.
    Kurz, Nugent hatte den Himmel auf Erden. Er war aber auch wirklich ein entzückendes Tierchen. Zwar sind die meisten seiner Artgenossen überaus anhänglich, doch bei ihm war dieser Zug bis zu einem ungewöhnlichen Grad entwickelt. Er hatte Menschen einfach gern, und in den folgenden Monaten trug der ständige Kontakt mit Menschen dazu bei, diese Vorliebe zu fördern.
    Oft sah ich ihn mit Mrs. Pumphrey im Garten umherspazieren. In seinem Verschlag stand er die meiste Zeit aufrecht, die gespaltenen Füße gegen das Drahtgeflecht gestemmt, und wartete begierig auf den nächsten Besucher. Schweine wachsen schnell, und bald hatte Nugent das rosafarbene Babystadium hinter sich gelassen, aber sein Charme blieb unvermindert. Am liebsten hatte er es, wenn man ihm den Rücken kratzte; er grunzte dann tief, verdrehte ekstatisch die Augen und knickte immer mehr in den Knien ein, bis er schließlich umkippte.
    Nugent hatte also ein sonniges Leben, und es wurde nur von einer einzigen Wolke getrübt – von dem alten Gärtner Hodgkin, der ein gestörtes Verhältnis zu Haustieren hatte, weil er tagtäglich Gummiringe für Tricki werfen mußte, und der nun zu Nugents Leibwächter ernannt worden war. Ihm oblag es, Nugent zu füttern, ihn beim Spielen zu beaufsichtigen und ihn ins Bett zu bringen. Der Gedanke, daß er das alles für ein Schwein tat, aus dem niemals Schweinepasteten gemacht werden würden, muß nahezu unerträglich für den alten Mann gewesen sein; die scharfen Linien in seinem Gesicht vertieften sich, sooft er nach dem Futtereimer griff.
    Als ich meine erste Visite bei Nugent machte, begrüßte Hodgkin mich finster und fragte: »Wollen Sie Nudist besuchen?« Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß es sich nicht um ein ausgefallenes Wortspiel handelte; es war ein ehrlicher, aber vergeblicher Versuch, den Namen korrekt auszusprechen, und solange mein ›Neffe‹ lebte, blieb er ›Nudist‹ für den alten Mann.
    Eine Erinnerung an Nugent ist mir besonders teuer. Eines Tages, unmittelbar nach dem

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