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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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doch Kühe, die trockenstehen, und die hier gibt noch neun Liter am Tag.«
    »Sie irren sich, Terry. Alle Kühe können es kriegen, besonders solche, bei denen die Milchproduktion schon nachläßt.« Ich zog das Thermometer aus dem Rektum – es zeigte vierzig Grad.
    »Was soll nun werden? Können Sie ihr helfen?«
    »Ich werde tun, was ich kann, Terry. Ich gebe ihr eine Spritze, und dann müssen Sie die Zitze melken, so oft Sie nur können, aber Sie wissen ja selbst, daß nicht viel Hoffnung besteht.«
    »Ja, das weiß ich.« Er sah finster zu, wie ich das Medikament in den Hals der Kuh injizierte. »Die entzündete Zitze stirbt ab, nicht wahr? Und sie selbst wird vielleicht ins Gras beißen?«
    Ich bemühte mich, zuversichtlich zu sprechen. »Also ich glaube nicht, daß sie stirbt, und selbst wenn die eine Zitze abstirbt, bleiben immer noch drei übrig.« Aber wie stets, wenn ich in einer sehr wichtigen Angelegenheit wenig oder nichts tun konnte, quälte mich ein Gefühl der Hilflosigkeit. Ich wußte ja, wie schlimm das hier für den jungen Mann war.
    »Sagen Sie, gibt es denn nichts, was ich tun könnte?« Terry Watsons schmale Wangen waren sehr blaß, und als ich seine schmächtige Gestalt mit den hängenden Schultern betrachtete, dachte ich – übrigens nicht zum erstenmal –, daß er für seinen Beruf nicht robust genug sei.
    »Ich kann für nichts garantieren«, erwiderte ich. »Aber die Fälle, bei denen die Zitze häufig gemolken wurde, sind am besten ausgegangen. Fangen Sie gleich heute abend damit an – wenn möglich alle halbe Stunde. Und Sie sollten das Euter in warmem Wasser baden und es gut massieren.«
    »Womit soll ich es einreiben?«
    »Ach, das ist egal. Hauptsache, das Gewebe wird hin und her bewegt, damit recht viel von dem stinkenden Zeug herauskommt. Vaseline würde sich gut eignen.«
    »Ich habe Gänseschmalz.«
    »Gut, nehmen Sie das.« Auf den meisten Höfen war Gänseschmalz die Allzwecksalbe für Mensch und Tier.
    Terry war erleichtert, weil er nun wenigstens etwas tun konnte. Er holte einen alten Eimer hervor, klemmte den Melkschemel zwischen die Beine und hockte sich neben die Kuh. Dann blickte er mit einem seltsam herausfordernden Ausdruck zu mir auf. »Gut«, sagte er. »Ich fange jetzt an.«
    Am nächsten Morgen wurde ich in aller Frühe zu einem Fall von Milchfieber gerufen, und auf dem Heimweg beschloß ich, bei den Watsons nach dem Rechten zu sehen. Es war acht Uhr, als ich den Schuppen betrat, und Terry saß noch immer so da, wie ich ihn am Vorabend verlassen hatte. Mit geschlossenen Augen, die Wange an die Flanke der Kuh gelehnt, zog er an der infizierten Zitze. Er fuhr wie aus tiefem Schlaf hoch, als ich ihm zurief: »Hallo, Sie sind wieder mal dabei, wie ich sehe.«
    Die Kuh schaute sich bei meinen Worten ebenfalls um, und ich bemerkte mit aller Freude, daß es ihr wesentlich besser ging.
    Sie hatte nicht mehr diesen leeren, starren Blick, sondern betrachtete mich mit dem beiläufigen Interesse eines gesunden Rindes, und ihre Kinnbacken mahlten mit jener langsamen, regelmäßigen Seitwärtsbewegung, an der jeder Tierarzt seine Freude hat.
    »Donnerwetter, Terry, sie sieht aber viel besser aus. Kaum zu glauben, daß es dieselbe Kuh ist.«
    Der junge Mann schien nur mit Mühe die Augen offenzuhalten, aber er lächelte: »Ja, und schauen Sie sich mal das Euter an.« Er erhob sich langsam von dem Melkschemel, bog mühsam den Rücken gerade und stützte den Ellenbogen gegen den Steiß der Kuh.
    Ich bückte mich, um die Schwellung am Euter zu befühlen, die der Kuh am Vorabend so starke Schmerzen verursacht hatte. Aber meine Hand traf auf eine glatte, elastische Fläche. Ungläubig massierte ich das Gewebe zwischen meinen Fingern. Das Tier zeigte keinerlei Unbehagen. Nun zog ich mit Daumen und Zeigefinger an der Zitze, und es gelang mir, einen Strahl reiner, weißer Milch in meine Hand fließen zu lassen.
    »Was geht hier vor, Terry? Sie haben die Kuh vertauscht, stimmt’s?«
    »Nein, Meister, die Kuh ist dieselbe. Es geht ihr nur besser.«
    »Das ist unmöglich! Was haben Sie denn mit ihr gemacht?«
    »Genau das, was Sie mir gesagt haben. Reiben und Ziehen.«
    Ich kratzte mich am Kopf. »Aber sie ist wieder völlig gesund. So was habe ich noch nie erlebt.«
    »Das will ich meinen«, ertönte eine Frauenstimme. Ich blickte mich um. An der Tür stand die junge Mrs. Watson mit ihrem Baby im Arm. »Sie haben gewiß noch nie erlebt, daß ein Mann die ganze Nacht seine Kuh massiert

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