Der Doktor und das liebe Vieh
Lunch, rief Mrs. Pumphrey an, und ihre bedrückte Stimme verriet mir, daß irgend etwas Unangenehmes passiert war; in diesem Ton pflegte sie mir auch Tricki Woos Krankheitssymptome zu beschreiben.
»O Mr. Herriot, Gott sei Dank, daß Sie da sind. Es geht um Nugent. Ich fürchte, er ist sehr, sehr krank.«
»Wirklich? Das tut mir aber leid. Was fehlt ihm denn?«
Am anderen Ende blieb es still; ich hörte nur schweres Atmen. Schließlich sagte Mrs. Pumphrey zögernd: »Ja... er kann nicht... er kann seine kleinen Geschäfte nicht verrichten.«
»Sie meinen, er kann kein Wasser lassen?«
»Ja... nein... jedenfalls...« Anscheinend wand sie sich vor Verlegenheit. »Nicht richtig.«
»Seltsam«, sagte ich. »Frißt er normal?«
»Ich denke, ja, aber...« Und plötzlich brach es aus ihr heraus. »Ach, Mr. Herriot, ich mache mir so schreckliche Sorgen! Ich habe von Männern gehört, bei denen es auch so war, und die hatten ein gefährliches Leiden. Es ist eine Drüse, nicht wahr?«
»Wirklich, Mrs. Pumphrey, deswegen brauchen Sie sich nicht zu beunruhigen. Bei Schweinen gibt es dieses Leiden nicht, ganz abgesehen davon, daß eine Hypertrophie der Prostata unmöglich im Alter von vier Monaten auftreten kann.«
»Ach, da bin ich aber froh. Trotzdem, irgend etwas... hemmt ihn. Sie kommen doch her, nicht wahr?«
»Gewiß. Ich fahre gleich los.«
Ich mußte ziemlich lange vor Nugents Verschlag warten. Er hatte sich zu einem kräftigen kleinen Mastschwein entwickelt und grunzte freundlich, als er mich durch das Drahtgeflecht sah. Offenbar wartete er auf irgendein Spiel. Schließlich wurde er ungeduldig und galoppierte steifbeinig hin und her. Ich war schon nahe daran, zu glauben, mein Besuch sei vergebens, als Mrs. Pumphrey plötzlich mit zitterndem Finger auf das Schwein zeigte.
»O Gott«, hauchte sie. »Da! Jetzt!« Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. »Ach, es ist entsetzlich! Ich kann nicht länger hinsehen.« Sie wandte sich stöhnend ab.
Ich beobachtete Nugent genau. Er war mitten im Laufen stehengeblieben und erleichterte sich zufrieden, indem er stoßweise Wasser ließ, wie männliche Schweine es zu tun pflegen.
»Was soll denn da nicht stimmen?« erkundigte ich mich bei Mrs. Pumphrey.
»Er... er...« Sie wagte noch immer nicht hinzublicken. »Er macht es doch... mit Unterbrechungen.«
Ich hatte Übung darin, in Mrs. Pumphreys Gegenwart keine Miene zu verziehen, und das kam mir jetzt zugute.
»Aber so machen es alle, Mrs. Pumphrey.«
Zitternd drehte sie sich halb um und blickte aus dem Augenwinkel auf Nugent. »Sie meinen... alle männlichen Schweine...?«
»Ich habe noch kein männliches Schwein gesehen, bei dem es anders war.«
»Oh... oh... wie merkwürdig, wie überaus merkwürdig.« Die arme Mrs. Pumphrey fächelte sich mit ihrem Taschentuch. Ihr Gesicht bekam wieder Farbe.
Um ihre Verlegenheit zu überspielen, schlug ich einen sehr sachlichen Ton an. »Ja, es ist merkwürdig, und die meisten Leute werden stutzig, wenn sie das zum erstenmal sehen. Nun, ich muß jetzt weiter. Hat mich sehr gefreut, den kleinen Burschen so munter und vergnügt anzutreffen.«
Nugent hatte ein langes und glückliches Leben und entsprach voll und ganz meinen Erwartungen. Er beschenkte mich ebenso großzügig wie Tricki, und auch in diesem Fall ließ die Tatsache, daß ich ihn aufrichtig gern hatte, keine Gewissensbisse aufkommen, obwohl Siegfrieds ironische Bemerkungen mir ein wenig peinlich waren.
Kapitel 18
Ich war nur zwei Wochen fort gewesen, aber diese Zeit hatte genügt, mich von neuem erkennen zu lassen, wieviel mir die Arbeit im Hochland bedeutete. Mein erster Besuch nach der Reise führte mich eine der schmalen Straßen hinauf, die Sildale und Cosdale miteinander verbinden, und als ich mich im ersten Gang bis zum höchsten Punkt hinauf gequält hatte, tat ich, was ich so oft tat – ich parkte den Wagen am Straßenrand und stieg aus. Von hier oben blickte man über die Ebene von York bis zu dem wirren Komplex der vierzig Meilen östlich gelegenen Hambleton Hills, während sich hinter mir das rauhe Hochmoor weithin erstreckte. In meinem ersten Jahr in Darrowby habe ich oft an dieser Stelle gestanden, und der Blick über die Ebene war jedesmal anders. Im Winter war das Tiefland eine dunkle Mulde zwischen den schneebedeckten Pennines und dem fernen weißen Schimmer der Hambletons; im April treiben die Regenböen wie schwere Schleier langsam über die große grün und braun gesprenkelte Fläche. Es
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