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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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und reibt.«
    »Die ganze Nacht?« wiederholte ich.
    Sie sah ihren Mann mit einer Mischung aus Sorge und Ärger an. »Ja, auf dem Schemel da hat er gesessen, seit Sie gestern abend weggegangen sind. War überhaupt nicht im Bett, wollte nicht mal zum Essen reinkommen. Ich hab ihm ein paar Happen und Tee gebracht. Ein richtiger Narr.«
    Ich sah Terry an, und mein Blick wanderte von dem blassen Gesicht über den dünnen, leicht schwankenden Körper zu dem fast leeren Schmalztopf zu seinen Füßen. »Großer Gott, Mann«, sagte ich, »Sie haben das Unmögliche vollbracht, aber Sie müssen ja restlos erschöpft sein. Ihre Kuh ist jedenfalls wieder so gut wie neu – Sie können sich jetzt also unbesorgt ausruhen.«
    »Nein, das geht nicht.« Er schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. »Ich muß zur Arbeit. Habe mich ohnehin schon verspätet.«

Kapitel 19
     
    Nicht ohne einen Anflug von Selbstgefälligkeit drückte ich den hellroten Gummiball durch die Einschnittstelle im Magen des Hundes heraus. Wir hatten in Darrowby des öfteren mit Kleintieren zu tun, und diese Arbeit bedeutete eine angenehme Unterbrechung unserer täglichen Fahrten von Hof zu Hof. Ein Arzt mit einer großen Stadtpraxis betrachtet eine Gastrotomie zweifellos als einen reinen Routinefall, aber als ich jetzt sah, wie der kleine rote Ball über den Tisch rollte und auf dem Boden zersprang, hatte ich das wohlige Gefühl, etwas geleistet zu haben.
    Der große irische Setter war uns am Morgen gebracht worden; seine Herrin sagte, er sei in einem elenden Zustand, übergebe sich von Zeit zu Zeit und zittere – das alles, seit vor zwei Tagen der Ball ihrer kleinen Tochter auf geheimnisvolle Weise verschwunden sei. Die Diagnose war nicht schwierig gewesen.
    Während ich die Magenwunde nähte, fühlte ich mich angenehm entspannt, im Gegensatz zu Tristan, der sich wegen der Äthernarkose, die er dem Hund gab, keine Zigarette anzünden durfte. Er starrte mißmutig auf den Patienten, und die Finger seiner freien Hand trommelten auf dem Tisch.
    Wenig später jedoch überkam mich Nervosität, denn die Tür des Operationszimmers flog auf und Siegfried trat ein. Ich weiß nicht, warum, aber sooft Siegfried mir bei irgend etwas zusah, wurde ich unsicher; es war, als gingen Wellen von ihm aus – Ungeduld, Frustration, Kritik, Entrüstung. Auch jetzt spürte ich, wie die Wellen mich trafen, obwohl das Gesicht meines Chefs völlig ausdruckslos war. Er stand ganz ruhig am Tischende, aber ich hatte den Eindruck, der sich mit jeder Minute verstärkte, daß gleich ein Vulkan ausbrechen werde. Die Eruption erfolgte, als ich anfing, die tiefe Schicht der Bauchmuskulatur zu nähen. Ich zog gerade ein Stück Katgut aus dem Glas, als ich hörte, wie jemand scharf einatmete.
    »Meine Güte, James!« schrie Siegfried. »Hören Sie doch auf, an dem verdammten Katgut zu ziehen! Wissen Sie, wieviel das Zeug kostet? Und dieser teure Puder, den Sie hier vergeuden – da muß ja ungefähr ein halbes Pfund in dem Hund sein.« Er machte eine Pause und atmete schwer. »Noch etwas. Wenn Sie abtupfen wollen, genügt doch ein kleiner Wattebausch – man braucht nicht jedesmal eine ganze Handvoll. Geben Sie mir mal die Nadel. Ich zeige Ihnen, wie man’s macht.«
    Er schrubbte sich eilig die Hände und nahm meinen Platz ein. Zuerst streute er eine winzige Prise Jodoformpuder behutsam in die Wunde – etwa so, wie eine alte Dame ihre Goldfische füttert –, dann schnitt er ein Stückchen Katgut ab und zog es durch die Wundränder. Wegen der Kürze des Fadens fand er es schwierig, den Knoten zu machen; er schaffte es erst nach ein paar Augenblicken scharfer Konzentration.
    Dieser Prozeß wiederholte sich etwa zehnmal. Seine Nase berührte fast den Patienten, während er mühsam die kurzen Fadenenden mit der Pinzette verknotete.
    »Gut«, sagte er, als er fertig war, »stell den Äther ab, Tristan.« Er nahm ein bißchen Watte und tupfte die Wunde ab.
    Dann wandte er sich mir zu und lächelte sanft. Wieder hatte sein Gesicht diesen geduldigen Ausdruck, den ich so haßte. »James, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Sie haben großartig gearbeitet, nur müssen Sie auch an die wirtschaftliche Seite der Dinge denken. Ich weiß, das alles interessiert Sie jetzt nicht die Bohne, aber wenn Sie eines Tages Ihre eigene Praxis haben, wird Ihnen klarwerden, wie wichtig Sparsamkeit ist.« Er klopfte mir auf die Schulter und lächelte verschmitzt. »Immerhin müssen Sie doch zugeben, James, daß

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