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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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wenden und aus dem Hof hinauszumanövrieren. Ich werde nicht so leicht rot, aber mein Gesicht glühte, als ich endlich losfahren konnte.
    Dies war mein erster Besuch bei den Sidlows, und ich betete, es möge auch der letzte sein. Aber meine Glückssträhne war vorbei. Von nun an hatte ich jedesmal, wenn sie bei uns anriefen, zufällig Dienst, und irgend etwas ging dabei unweigerlich schief. Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte den Sidlows nichts recht machen, so daß ich schon bald in den Augen der Familie die größte Bedrohung für die Tierwelt darstellte, die sie je erlebt hatten.
    An einem Samstagmorgen fragte mich Siegfried, ob ich wohl beim Pferderennen in Brawton als Tierarzt amtieren würde.
    »Eigentlich sollte ich hinfahren, weil Grier im Urlaub ist«, sagte er. »Aber ich hatte bereits versprochen, nach Casborough zu kommen, um Dick Henley bei einer Operation zu assistieren. Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Der Job auf dem Rennplatz ist ganz harmlos. Der reguläre Arzt wird Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen.«
    Er war kaum abgefahren, als jemand von der Rennbahn anrief. Beim Ausladen war eines der Pferde gestürzt und hatte sich am Knie verletzt. Ob ich wohl gleich kommen könnte?
    Selbst heute bin ich noch kein Experte für Rennpferde; sie stellen ein besonderes Fachgebiet dar. In Darrowby hatte ich bisher sehr wenig mit ihnen zu tun gehabt, denn Siegfried war ein Pferdenarr und übernahm prinzipiell jeden einschlägigen Fall. Daher besaß ich hier so gut wie gar keine praktische Erfahrung.
    Mir war recht unbehaglich zumute, als ich meinen Patienten sah. Das Knie sah schrecklich aus. Der Hengst war beim Ausladen gestolpert und mit seinem vollen Gewicht auf den steinigen Boden gefallen. Die Haut hing in blutigen Lappen herunter, etwa sechs Quadratzoll der Gelenkkapsel lagen bloß, und die Streckmuskelsehnen schimmerten durch das zerfetzte Bindegewebe. Das schöne dreijährige Tier hielt zitternd das verletzte Bein hoch, so daß der Huf gerade noch den Boden berührte; das verletzte Knie bildete einen starken Kontrast zu dem glatten, sorgfältig gepflegten Fell.
    Ich untersuchte die Wunde, befühlte sanft das Gelenk. Zum Glück war es ein ruhiges Tier. Manche leichten Pferde sind so nervös, daß sie bei der leisesten Berührung hochgehen, aber dieses bewegte sich kaum, als ich mich daranmachte, die Hautfetzen zu ordnen.
    Dann wandte ich mich zu dem Stallburschen um. Klein, vierschrötig, die Hände in den Jackentaschen, stand er da und sah mir zu.
    »Ich säubere die Wunde und nähe sie, aber er braucht fachmännische Pflege, wenn Sie ihn nach Hause bringen. Können Sie mir sagen, wer ihn behandeln wird?«
    »Ja, Sir. Mr. Brayley-Reynolds wird sich um ihn kümmern.«
    Ich fuhr aus der Hocke hoch. Der Name wirkte wie ein Trompetenstoß auf mich. Wenn in meiner Studienzeit über Pferde gesprochen wurde, kam die Rede früher oder später unweigerlich auf Brayley-Reynolds. Ich stellte mir vor, wie der berühmte Mann meine Arbeit inspizierte. »Und wer, sagten Sie, hat die Wunde versorgt? Herriot...? Herriot...?«
    Ich kniete mich wieder hin und arbeitete mit klopfendem Herzen weiter. Zum Glück waren Gelenkkapsel und Sehnenscheiden unverletzt – kein Entweichen von Gelenkschmiere. Mit einer Chinosol-Lösung tupfte ich jede Ritze der Wunde ab, bis der Boden um mich herum weiß von Wattetampons war. Dann stäubte ich etwas Jodoformpuder darüber und bereitete die losen Fetzen Bindegewebe zum Nähen vor. Jetzt ging es darum, die Haut gut zusammenzufügen, um eine Entstellung zu vermeiden. Ich wählte dünnen Seidenfaden und eine sehr kleine Nadel.
    Die Arbeit dauerte etwa eine Stunde. Ich brachte die Hautlappen sorgfältig in die richtige Lage und nähte sie mit unzähligen winzigen Stichen zusammen. Eine zerfetzte Wunde zu reparieren ist etwas Faszinierendes, und ich gab mir große Mühe.

Kapitel 26
     
    Als ich mich schließlich aufrichtete, tat ich es langsam wie ein sehr alter Mann. Mit zitternden Knien stand ich vor dem Stallburschen. Er lächelte.
    »Das haben Sie prima gemacht«, sagte er. »Sieht wie neu aus. Ich möchte Ihnen danken, Sir – es ist einer meiner Lieblinge, ein Prachtpferd und obendrein gutmütig.« Er streichelte die Flanke des Tieres.
    »Ich hoffe, daß alles richtig verheilt.« Ich holte ein Paket Gaze und eine Binde aus meiner Tasche. »Jetzt mache ich noch einen Verband; später können Sie dann eine Bandage aus dem Stall anlegen. Ich gebe ihm eine Spritze gegen

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