Der Doktor und das liebe Vieh
Tasche nach einem Thermometer durchwühlte, traf ein starker Windstoß die Tür, so daß der Riegel leise klickte, und trieb ein wenig Pulverschnee in den dunklen Raum.
Mr. Clayton drehte sich um und rieb mit seinem Ärmel über die Scheibe des einzigen kleinen Fensters. Er stocherte mit dem Daumennagel zwischen seinen Zähnen herum und schaute hinaus in den tobenden Schneesturm.
»Ja«, sagte er und rülpste voller Behagen, »das Wetter ist wirklich nicht das beste.«
Kapitel 30
Während ich darauf wartete, daß Siegfried mir meine morgendliche Besuchsliste gab, zog ich den Schal bis fast über die Ohren, Schlug den Mantelkragen hoch und knöpfte ihn fest unter dem Kinn zu. Dann zog ich ein Paar dicke Wollhandschuhe an.
Der schneidende Nordwind trieb den Schnee fast parallel zum Boden am Fenster vorbei. Die großen, wirbelnden Flocken löschten die Straße und alles andere aus.
Siegfried beugte sich über den Terminkalender. »Nun wollen wir mal sehen, was wir da haben. Barnett, Gill, Sunter, Dent, Cartwright...« Er kritzelte etwas auf einen Schreibblock. »Ach, und um Scrutons Kalb werde ich mich auch kümmern – Sie haben es behandelt, ich weiß, aber ich komme heute sowieso dort vorbei. Was war denn mit dem Tier los?«
»Ja, die Atmung war ein bißchen beschleunigt, und die Temperatur lag bei vierzig Grad. Ich glaube aber nicht, daß es Lungenentzündung ist. Mir scheint eher, daß sich eine Diphtherie entwickeln könnte – der Rachen ist geschwollen, und die Halsdrüsen sind stark vergrößert.«
Siegfried hatte unterdessen auf seinem Schreibtisch weitergeschrieben und nur einmal innegehalten, um Miss Harbottle etwas zuzuflüstern. Nun sah er strahlend auf. »Lungenentzündung? Wie haben Sie die behandelt?«
»Nein, ich sagte, daß ich nicht an Lungenentzündung glaube. Ich habe Prontosil injiziert und Liniment zum Einreiben der Halsgegend dagelassen.«
Siegfried schrieb eifrig weiter. Er sagte nichts, bis er zwei Listen angefertigt hatte. Er riß die eine vom Block ab und reichte sie mir. »Schön, Sie haben also Liniment für die Brust verordnet. Ist sicherlich wirksam. Welches Liniment genau?«
»Methylsalicylicum. Allerdings soll der Hals des Kalbs eingerieben werden, nicht die Brust.« Aber Siegfried hatte sich abgewandt, um Miss Harbottle die Reihenfolge seiner Besuche mitzuteilen, und so sprach ich gegen seinen Hinterkopf an.
Schließlich stand er auf und kam herüber. »Na schön, Sie haben Ihre Liste – dann kann’s ja losgehen.« An der Tür blieb er stehen und drehte sich um. »Warum zum Teufel reiben Sie mit diesem Liniment den Hals des Tieres ein?«
»Ich dachte, es würde die Entzündung mildern.«
»Aber James, warum soll da überhaupt eine Entzündung sein? Glauben Sie nicht, es wäre besser, die Brust einzureiben?« Siegfried hatte wieder seinen geduldigen Blick.
»Nein, das glaube ich nicht. Jedenfalls nicht bei Kälberdiphtherie.«
Siegfried neigte den Kopf und lächelte voller Sanftmut. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Mein lieber alter James, vielleicht ist es am besten, wenn Sie mir die Sache ganz von vorn erzählen. Lassen Sie sich Zeit – wir haben keine Eile. Sprechen Sie langsam und ruhig, dann kommen Sie auch nicht durcheinander. Sie sagten also, es ginge um ein Kalb mit Lungenentzündung – fangen Sie da an.«
Ich bohrte meine Hände in die Manteltaschen und begann zwischen den Thermometern, Scheren und Fläschchen herumzuwühlen, die ich immer bei mir hatte. »Hören Sie, ich habe als erstes gesagt, daß es sich meiner Meinung nach nicht um eine Lungenentzündung handelt und ich eher auf eine Diphtherie tippe. Das Kalb hatte auch Fieber – vierzig Grad.«
Siegfried schaute an mir vorbei aus dem Fenster. »Mein Gott, sehen Sie bloß, wie das schneit. Wird ein Vergnügen sein, heute von einem Hof zum anderen zu fahren.« Er richtete seinen Blick wieder auf mich. »Meinen Sie nicht, daß Sie bei vierzig Grad Fieber Prontosil spritzen sollten?« Er hob die Arme und ließ sie sinken. »Ist ja nur ein Vorschlag, James – ich will mich da beileibe nicht einmischen, aber ich finde wirklich, daß hier ein bißchen Prontosil angebracht wäre.«
»Zum Donnerwetter, ich spritze doch Prontosil!« schrie ich. »Ich hab’s Ihnen eben gesagt, aber Sie hören mir ja nicht zu. Ich versuche dauernd, es Ihnen beizubringen, aber , wie kann ich...«
»Beruhigen Sie sich, lieber Junge. Kein Grund zur Aufregung.« Siegfrieds Gesicht war von einem inneren Glanz
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