Der Doktor und das liebe Vieh
verklärt. Es drückte Güte, Verzeihung, Toleranz und Zuneigung aus. Ich war nahe daran, ihm einen Tritt gegen das Schienbein zu versetzen.
»James, James.« Die Stimme hatte etwas Einschmeichelndes. »Ich bezweifle durchaus nicht, daß Sie auf Ihre Weise versucht haben, mir diesen Fall zu schildern, nur ist es leider nicht jedem gegeben, sich mitzuteilen. Sie sind ein großartiger Kerl, aber Sie müssen sich bemühen, diese Fähigkeit zu erwerben. Wenn es Ihnen erst einmal gelingt, die Fakten zusammenzustellen und dann geordnet zu präsentieren, werden Sie nicht mehr so durcheinandergeraten. Es ist alles nur Übungssache, glauben Sie mir.« Er winkte mir aufmunternd zu und verschwand.
Ich ging schnell in den Vorratsraum hinüber, und als ich dort einen großen, leeren Karton auf dem Boden stehen sah, gab ich ihm einen gewaltigen Tritt. Ich tat es mit so viel Zorn, daß mein Fuß durch die Pappe hindurchstieß. Gerade versuchte ich mich zu befreien, als Tristan hereinkam. Er hatte das Feuer geschürt und war Zeuge unseres Gesprächs geworden.
Interessiert sah er zu, wie ich im Zimmer umherstampfte und den Karton abzuschütteln suchte. »Was ist los, Jim? Ist mein großer Bruder Ihnen auf die Nerven gefallen?«
Ich hatte mich endlich von dem Karton befreit und sank auf eines der niedrigen Regale. »Ich weiß nicht. Warum sollte er mir jetzt auf die Nerven fallen? Ich kenne ihn doch schon lange, und er war nie anders als jetzt, aber es hat mir nichts ausgemacht – zumindest nicht soviel wie heute. Zu jedem anderen Zeitpunkt würde ich darüber lachen. Zum Teufel, was ist eigentlich mit mir los?«
Tristan setzte den Kohleneimer ab und sah mich nachdenklich an. »Ihnen fehlt gar nichts, Jim, Sie sind nur ein bißchen nervös und gereizt, seit Sie mit der kleinen Alderson ausgegangen sind.«
»O Gott!« stöhnte ich und schloß die Augen. »Erinnern Sie mich bloß nicht daran. Übrigens habe ich sie nicht wiedergesehen und auch nichts mehr von ihr gehört. Die Sache ist also zu Ende, und ich kann es dem Mädchen nicht verdenken.«
Tristan zog seine Zigaretten hervor und hockte sich neben dem Kohleneimer auf den Boden. »Alles schön und gut, aber sehen Sie mal in den Spiegel. Sie leiden, und das ohne jeden Grund. Gut, der Abend war katastrophal, und sie hat Ihnen den Laufpaß gegeben. Na und? Was glauben Sie, wie viele Mädchen schon mit mir Schluß gemacht haben?«
»Schluß? Ich hatte ja noch nicht einmal angefangen.«
»Um so besser. Warum laufen Sie dann herum wie ein Ochse mit Bauchschmerzen? Vergessen Sie es, Mensch, gehen Sie hinaus in die weite Welt. Das Leben in seiner ganzen Fülle wartet auf Sie. Ich habe Sie beobachtet – Sie schuften den ganzen Tag, und wenn Sie nicht unterwegs sind, lesen Sie Ihre Fälle in den Lehrbüchern nach. Berufliches Interesse ist okay, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Sie müssen auch ein bißchen leben. Denken Sie an all die hübschen Mädchen in Darrowby – jede einzelne wartet auf einen großen, gut aussehenden Kerl wie Sie. Enttäuschen Sie unsere Schönen nicht.« Er beugte sich vor und schlug mir aufs Knie. »Ich will Ihnen was sagen. Warum lassen Sie mich nicht irgendwas arrangieren? Eine hübsche kleine Party zu viert – genau das, was Sie brauchen.«
»Ach, ich weiß nicht, ich bin wirklich nicht scharf darauf.«
»Unsinn«, sagte Tristan. »Ich weiß gar nicht, warum mir das nicht schon eher eingefallen ist. Dieses mönchische Leben ist schlecht für Sie. Überlassen Sie alles weitere mir.«
Ich beschloß, früh schlafen zu gehen, und wachte gegen elf Uhr wieder auf, als etwas Schweres auf mein Bett plumpste. Das Zimmer war dunkel, aber ich hatte das Gefühl, eine Wolke aus Bier und Rauch hülle mich ein. Ich hustete und setzte mich auf. »Sind Sie das, Triss?«
»Allerdings«, sagte die dunkle Gestalt am Fußende des Bettes. »Und ich bringe Ihnen eine gute Nachricht. Erinnern Sie sich an Brenda?«
»Die kleine Krankenschwester, mit der ich Sie ein paarmal gesehen habe?«
»Genau die. Und sie hat eine Freundin, Connie, die sogar noch hübscher ist. Wir vier gehen am Dienstagabend ins Poulton Institute tanzen.«
»Was denn – ich auch?«
»Klar. Und Sie werden sich so gut amüsieren wie noch nie. Ich sorge dafür.« Er blies mir eine letzte dicke Rauchwolke ins Gesicht und ging leise lachend aus dem Zimmer.
Kapitel 31
»Es gibt warmes Essen, und für Unterhaltung ist auch gesorgt.« Meine Reaktion auf diese Worte überraschte mich. Sie
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