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Der Doktor und das liebe Vieh

Der Doktor und das liebe Vieh

Titel: Der Doktor und das liebe Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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nicht so schwer, mein Junge, Sie haben getan, was Sie konnten.«
    Ich war mir da nicht so sicher. Als ich fortging, stand Mrs. Rudd am Wagen. Sie hatte an diesem Tag gebacken und drückte mir einen kleinen Laib Brot in die Hand. Es war mir peinlich.

Kapitel 32
     
    An diesem Abend saß ich allein in dem großen Zimmer im Skeldale House und brütete vor mich hin. Siegfried war noch immer verreist – ich hatte niemanden, den ich um Rat fragen konnte, und wünschte nur, ich wüßte, was ich mit Dicks Kuh am nächsten Morgen anstellen sollte. Als ich zu Bett ging, war ich zu dem Schluß gekommen, daß mir wohl nichts anderes übrigblieb, als den Abszeß mit dem Messer anzugehen: ich würde das Skalpell hinter dem Kieferwinkel ansetzen müssen.
    Ich wußte zwar, wo der Abszeß saß, aber es war ein weiter Weg dorthin, und an diesem Weg lauerten so furchteinflößende Dinge wie die Halsschlagader und die Drosselvene. Verzweifelt versuchte ich, sie aus meinen Gedanken zu verbannen, aber sie verfolgten mich noch im Traum: riesige, pochende, pulsierende Gebilde, die bei der kleinsten Berührung mit dem Messer zu bersten drohten. Um sechs Uhr war ich bereits hellwach. Nachdem ich eine Stunde lang todunglücklich an die Decke gestarrt hatte, hielt ich es nicht mehr aus. Ich stand auf und fuhr ungewaschen und unrasiert nach Birch Tree.
    Ich schlich beklommen in den Stall und sah zu meinem Entsetzen, daß Strawberrys Box leer war. Es war also passiert. Sie war also tot. Schließlich hatte sie ja auch schon gestern so ausgesehen, als würde sie eingehen. Ich wollte gerade wieder gehen, da rief Dick.
    »Ich hab sie in einer Box am andern Ende des Hofes untergebracht. Da hat sie es ein bißchen bequemer.«
    Ich rannte fast über die Pflastersteine. Als ich mich der Tür näherte, hörte ich schon ein schreckliches Keuchen. Strawberry war nicht mehr auf den Beinen – der Weg zur anderen Box hatte sie ihre letzte Kraft gekostet, und nun lag sie da, auf der Brust, den Kopf auf dem Boden ausgestreckt, mit geweiteten Nüstern und starr blickenden Augen, und rang verzweifelt nach Luft.
    Aber sie lebte! Die Erleichterung darüber spornte mich zum Handeln an und verscheuchte meine Bedenken.
    »Dick«, sagte ich, »ich muß die Kuh operieren. Das Ding, was sie da drinnen hat, geht nicht mehr rechtzeitig auf. Also muß etwas geschehen – jetzt oder nie. Aber eins müssen Sie wissen: ich komme nur von hinten, hinter dem Kiefer, an die Stelle heran. Und das hab ich noch nie gemacht. Ich hab es nie gesehen und auch noch nie gehört, daß irgend jemand es gemacht hat. Wenn ich eines von den großen Blutgefäßen da drinnen verletze, ist sie in einer Minute tot.«
    »So wie jetzt hält sie es doch nicht mehr lange aus«, knurrte Dick. »Da ist nichts zu verlieren – also fangen Sie an.«
    Wenn man große Rinder operieren will, muß man sie gewöhnlich mit Stricken herunterziehen, und meist geht es auch nicht ohne Vollnarkose. Bei Strawberry war beides nicht nötig. Sie war schon zu geschwächt. Ich stieß sie nur sanft gegen die Schulter, und schon rollte sie auf die Seite und lag wieder still da.
    Ich injizierte in die Partie unterhalb des Ohrs bis hin zum Kieferwinkel ein Lokalanästhetikum und legte meine Instrumente bereit.
    »Ziehen Sie Strawberrys Kopf möglichst gerade und biegen Sie ihn ganz leicht zurück, Dick«, sagte ich. Im Stroh kniend, machte ich den ersten Einschnitt in die Haut, schnitt dann vorsichtig durch die lange, dünne Schicht des Brachiozephalmuskels und hielt die Fasern mit Wundhaken auseinander. Irgendwo da unten war mein Ziel, und ich versuchte, mir die Anatomie dieses Bereiches so klar wie nur irgend möglich zu vergegenwärtigen. Genau da liefen die Kiefervenen zusammen und bildeten die große Drosselvene, und ein Stück tiefer lag, noch gefährlicher, die Halsschlagader mit ihren Verästelungen und Verzweigungen. Wenn ich das Messer hier, hinter der Speicheldrüse am Unterkiefer, hineinstieß, dann mußte ich die richtige Stelle treffen. Doch als ich die rasiermesserscharfe Klinge ansetzen wollte und auf die freigelegte Stelle blickte, fing meine Hand an zu zittern. Ich versuchte sie ruhig zu halten, aber es war, als würde ich vom Malariafieber geschüttelt. Ich hatte einfach zu viel Angst. Mit diesen zitternden Händen durfte ich nicht schneiden. Also legte ich das Skalpell beiseite, nahm statt dessen eine lange Arterienpinzette und schob sie langsam durch die kleine Öffnung im Muskel. Es kam mir so vor, als

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