Der Dorfpfarrer (German Edition)
Vaterschaft mit dem Orkan dieser entfesselten Leidenschaften schwächte und ermüdete den armen Abbé Pascal. »Der Mensch hier hat sein Paradies auf Erden gefunden,« erklärte der Greis mit sanfter Stimme.
Die kleine Madame des Vanneaulx fragte ihre Freundinnen um Rat, sie wollte wissen, ob sie einen Schritt bei dem Verbrecher tun sollte. Der p.p. des Vanneaulx sprach von einem Vergleich. In seiner Verzweiflung schlug er Monsieur de Granville vor, er wolle um die Begnadigung des Mörders seines Onkels bitten, wenn der Mörder die hunderttausend Franken herausgäbe. Der stellvertretende Generalprokurator erwiderte, die Königliche Majestät lasse sich nicht zu solchen Kompromissen herbei. Die des Vanneaulx wandten sich an Tascherons Advokaten, dem sie zehn Prozent der Summe anboten, wenn es ihm gelänge, sie ausfindig zu machen. Der Advokat war der einzige Mensch, bei dessen Anblick Tascheron nicht außer sich geriet. Die Erben bevollmächtigten ihn, dem Verbrecher andere zehn Prozent anzubieten, über die er zugunsten seiner Familie verfügen sollte. Trotz der Benagungen, die diese Biber an ihrer Erbschaft vornehmen wollten, und trotz seiner Beredsamkeit konnte der Advokat bei seinem Klienten nichts durchsetzen. Die wütenden des Vanneaulx schmähten und verfluchten den Verurteilten. »Nicht nur ein Mörder ist er, sondern er hat auch kein Zartgefühl im Leibe!« schrie des Vanneaulx allen Ernstes, ohne Fualdès berühmtes Klagelied zu kennen, als er Abbé Pascals Mißerfolg vernahm und durch die mögliche Verwerfung der Nichtigkeitsbeschwerde alles verloren sah. »Was kann ihm unser Vermögen nützen, wo er abschrammt? Ein Mord läßt sich verstehen, ein zweckloser Diebstahl aber ist unbegreiflich. In welchen Zeiten leben wir, daß Leute der Gesellschaft sich für einen solchen Räuber interessieren? Nichts spricht doch für ihn!«
»Wenig Ehre hat er,« sagte Madame des Vanneaulx.
»Wenn indessen die Herausgabe seine gute Freundin bloßstellt?« sagte eine alte Jungfer.
»Wir würden ihr Verschwiegenheit zusichern,« schrie der p.p. des Vanneaulx.
Eine der Frauen aus Madame Graslins Gesellschaft, die ihr lachend die des Vanneaulxschen Redereien erzählte, eine sehr geistreiche Frau, eine von denen, die von hohen Idealen träumen und wünschen, daß alles vollkommen sei, bedauerte des Verurteilten Wut. Sie hätte ihn gern kalt, ruhig und würdig gehabt. »Sehen Sie denn nicht,« sagte Véronique zu ihr, »daß er so die Verführungen von sich weist und die Versuche vereitelt? Aus Berechnung gibt er sich als wildes Tier.«
»Uebrigens ist er kein vornehmer Mann,« sagte die verbannte Pariserin, »er ist Arbeiter.«
»Ein vornehmer Mann hätte mit der Unbekannten schnell ein Ende gemacht,« antwortete Madame Graslin. Diese sich überstürzenden Ereignisse, die in den Salons von allen Seiten beleuchtet, in den Haushalten auf tausenderlei Arten kommentiert, von den geschicktesten Zungen der Stadt zerpflückt wurden, erweckten ein grausames Interesse für die Hinrichtung des Verurteilten, dessen Berufung vom obersten Gerichtshofe zwei Monate später verworfen wurde. Wie würde in seinen letzten Augenblicken die Haltung des Verurteilten sein, der sich schmeichelte seine Hinrichtung zu vereiteln, indem er eine verzweifelte Verteidigung ankündigte? Wird er reden? Wird er gestehen? Wer wird die Wette gewinnen? Wollen wir hingehen? Wollen wir nicht hin? Wie hingehen? Die Lage der Lokalitäten, welche den Verbrechern die Aengste einer langen Ueberführung erspart, beschränkt in Limoges die Zahl der eleganten Zuschauer. Das Justizgebäude, in dem das Gefängnis ist, nimmt die Ecke der rue du Palais und der rue du Pont-Hérisson ein. Die rue du Palais wird in gerader Linie durch die kurze rue de Monte-à Regret fortgesetzt, die auf die place d'Aisne oder des Arènes führt, wo die Hinrichtungen stattfinden, und die diesem Umstände zweifelsohne ihren Namen verdankt. Es gibt also nur einen kurzen Weg, folglich wenige Häuser, wenige Fenster. Doch die von Tag zu Tag erwartete Hinrichtung wurde von Tag zu Tag verschoben; und das aus folgendem Grunde. Die fromme Ergebung schwerer Verbrecher, die in dem Tod gehen, ist einer der Triumphe, welche die Kirche sich aufspart, und die ihre Wirkung auf die Menge fast nie verfehlen. Die Reue der Verurteilten bestätigt zu sehr die Macht religiöser Gedanken, als daß – abgesehen von jedem christlichen Interesse, obwohl es der Hauptgesichtspunkt der Kirche sein sollte – dem
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