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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Kranke abzulenken, suchte der Arzt diese Haltung, die seine Verteidiger ausbeuteten, zu erklären. Das Talent seiner Advokaten täusche den Angeklagten über das Resultat; er glaube dem Tode zu entgehen, sagte der Arzt. Für Augenblicke bemerke man auf seinem Gesichte eine Hoffnung, die von einem viel größerem Glücke als dem zu leben herrühre. Die Antezedenzien des Lebens dieses dreiundzwanzigjährigen Mannes widersprächen den Handlungen, durch die es zu Ende gehe, so sehr, daß seine Verteidiger seine Haltung als eine Schlußfolgerung einwürfen. Kurz, die erdrückenden Beweise in der Hypothese der Anklage würden so schwach dem Roman der Verteidigung gegenüber, daß dieser Kopf mit günstigen Aussichten von dem Advokaten streitig gemacht würde. Um seinem Klienten das Leben zu retten, schlüge der Advokat sich mit aller Macht auf das Gebiet des Vorbedachts, hypothetisch räume er den vorbedachten Diebstahl, nicht aber die vorbedachten Morde ein, die das Resultat zweier unerwarteter Kämpfe seien. Der Erfolg erschien zweifelhaft für das Parkett wie für die Schranke.
    Nach dem Arztbesuch hatte Veronique den des stellvertretenden Generalprokurators, der allmorgendlich zu ihr kam, ehe er in die Verhandlungen ging.
    »Ich habe die Plädoyers gestern gelesen,« sagte sie zu ihm, »heute sollen die Antworten beginnen. Ich interessiere mich so sehr für den Angeklagten, daß ich ihn gerettet sehen möchte. Können Sie nicht einmal in Ihrem Leben auf einen Triumph verzichten? Lassen Sie sich doch vom Advokaten besiegen. Machen Sie mir ein Geschenk mit diesem Leben, und Sie sollen meins vielleicht eines Tages dafür haben! ... Nach dem schönen Plädoyer des Tascheronschen Verteidigers ist alles doch fraglich; nun ...«
    »Ihre Stimme klingt besorgt,« sagte der Vicomte beinahe überrascht.
    »Wissen Sie warum?« antwortete sie. »Mein Mann hat eben ein furchtbares Zusammentreffen entdeckt, das infolge meiner Sensibilität derartig sei, daß es meinen Tod verursachen könnte: ich werde niederkommen, wenn Sie den Befehl geben, daß dieser Kopf fällt ...«
    »Kann ich das Gesetzbuch reformieren?« antwortete der stellvertretende Generalprokurator.
    »Gehen Sie, Sie verstehen nicht zu lieben!« antwortete sie, die Augen schließend.
    Sie legte ihren Kopf auf das Kissen und schickte den Beamten mit befehlender Gebärde fort.
    Monsieur Graslin trat lebhaft, aber vergebens, für die Freisprechung ein, indem er einen Grund angab, den zwei mit ihm befreundete Geschworene sich zu eigen machten, und der ihm von seiner Frau eingegeben worden war. »Wenn wir dem Menschen sein Leben lassen, wird die Familie des Vanneaulx Pingrets Hinterlassenschaft wiederfinden.« Dies unwiderstehliche Argument führte zwischen den Geschworenen eine Spaltung von sieben gegen fünf Stimmen herbei, was die Stellungnahme des Gerichtshofes notwendig machte. Der Gerichtshof schlug sich aber zu der Minorität der Geschworenen. Der Rechtsprechung jener Zeit zufolge entschied dieses Zusammengehen für die Verurteilung.
    Als ihm sein Urteil verkündigt wurde, geriet Tascheron in eine bei einem kraft- und lebensvollen Menschen sehr natürliche Wut, die aber die Gerichtsbeamten, Advokaten, Geschworenen und die Zuhörerschaft fast noch nie bei unschuldig verurteilten Angeklagten bemerkt haben. Durch das Urteil schien das Drama für alle Welt noch nicht erledigt zu sein. Ein solch erbitterter Kampf ließ, wie das bei derartigen Fällen fast immer die Regel ist, zwei diametral entgegengesetzte Meinungen über die Schuldfrage des Helden aufkommen, in welchem die einen die unterdrückte Unschuld erblickten, die anderen einen zu Recht verurteilten Verbrecher. Die Liberalen erklärten sich weniger aus Gewißheit wie um der Gewalt zu widersprechen für Tascherons Unschuld.
    »Wie,« sagten sie, »einen Menschen auf die Aehnlichkeit seines Fußes mit dem Abdruck eines anderen Fußes hin verurteilen? Auf Grund seiner Abwesenheit? Als ob alle jungen Leute nicht lieber sterben würden als eine Frau zu kompromittieren? Weil man sich Werkzeuge geliehen und Eisen gekauft hat; denn es ist nicht bewiesen worden, daß er den Schlüssel hergestellt hat. Eines blauen Leinewandlappens wegen, der an einem Baume hängt, den der alte Pingret vielleicht dort als Spatzenscheuche hingetan hat, der zufällig in einen Riß in unserer Bluse paßt. Wovon hängt ein Menschenleben doch ab! Kurz, Jean-François hat alles abgeleugnet; die Staatsanwaltschaft hat keinen Zeugen aufgestellt,

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