Der Dorfpfarrer (German Edition)
los, kaufen wir uns von unseren Verbrechen los! Alles ist tilgbar; der Katholizismus beruht auf diesem Worte; von ihm gehen seine anbetungswürdigen Sakramente aus, die der Gnade zum Triumphe verhelfen und den Sünder stützen. Weinen, Madame, seufzen wie die Magdalena in der Wüste, ist nur der Anfang; handeln ist das Ende. Die Klöster weinten und handelten, beteten und zivilisierten; sie sind die aktiven Mittel unserer göttlichen Religion gewesen. Europa haben sie aufgebaut, bepflanzt und kultiviert, und dabei den Schatz unserer Kenntnisse und den der menschlichen Gerechtigkeit, der Politik und der Künste gerettet. Stets wird man in Europa den Platz ihrer strahlenden Zentren wiedererkennen. Die meisten modernen Städte sind Töchter eines Klosters. Wenn Sie glauben, daß Gott Sie zu richten hat, sagt die Kirche Ihnen durch meine Stimme, daß alles sich durch gute Werke der Reue tilgen läßt. Gottes große Hände wiegen das Böse, das getan wurde, und den Wert getaner Wohltaten zugleich. Seien Sie für sich allein das Kloster, Sie können hier die Wunder wieder beginnen. Ihre Gebete müssen Arbeiten sein. Von Ihrer Arbeit muß das Glück derer herrühren, über die Sie sich durch Ihr Vermögen, Ihren Geist, durch alles bis zu dieser natürlichen erhöhten Stellung, die ein Abbild Ihrer sozialen Lage ist, erheben.«
In diesem Augenblick machten der Priester und Madame Graslin kehrt, um auf ihren Schritten nach der Ebene hin zurückzugehen, und der Pfarrer konnte sowohl auf das Dorf unten am Hügel als auch auf das die Landschaft beherrschende Schloß hinweisen. Es war eben viereinhalb Uhr. Ein gelblicher Sonnenstrahl hüllte die Balustrade und die Gärten ein, erleuchtete das Schloß festlich und ließ die Zeichnung der vergoldeten gußeisernen Akroterien glänzen; er erhellte die lange Ebene, welche durch die Straße geteilt wurde, ein tristes graues Band, das nicht die Festons besaß, welche anderswo überall die Bäume auf beiden Seiten hineinsticken. Als Véronique und Monsieur Bonnet das Schloßmassiv hinter sich gelassen hatten, konnten sie den Hof, die Pferdeställe, die Nebengebäude und den Wald von Montégnac sehen, über den diese Helle wie eine Liebkosung hinwegglitt. Obwohl dieser letzte Glanz der untergehenden Sonne nur die Gipfel erreichte, erlaubte er doch noch von dem Hügel an, wo Montégnac liegt, bis zur ersten Zacke der Corrèzenischen Gebirgskette die Launen des köstlichen Teppichs, den ein Herbstwald darstellt, vollkommen zu sehen. Die Eichen bildeten Florentiner Bronzemassen; die Nußbäume, die Kastanien zeigten ihre grüngrauen Töne, die früh sich verfärbenden Bäume glänzten durch ihr Goldlaub, und alle diese Farben waren durch graue, unbebaute Plätze schattiert. Die Stämme der gänzlich ihres Blattwerks beraubten Bäume zeigten ihre weißlichen Säulenhallen. Diese roten, gelbroten, grauen, durch die bleichen Reflexe der Oktobersonne künstlich vertriebenen Farben standen in Einklang mit jener fruchtbaren Ebene, mit jenem unendlichen Brachfeld, das grünlich war wie ein stagnierendes Wasser. Ein Gedanke des Priesters kommentierte dies sonst stumme Schauspiel: kein Baum, kein Vogel, der Tod in der Ebene, das Schweigen im Walde; hier und da einige Rauchschwaden aus den Dorfhütten. Das Schloß schien düster wie seine Herrin. Einem merkwürdigen Gesetze zufolge ahmt alles in einem Hause dem nach, der dort herrscht, sein Geist schwebt dort in der Luft. Im Verstande überrascht durch des Pfarrers Worte und im Herzen durch die Ueberzeugung überrascht, in ihrer Liebe erreicht durch den himmlischen Klang dieser Stimme, blieb Madame Graslin plötzlich stehen. Der Pfarrer hob den Arm auf und zeigte auf den Wald hin; Véronique schaute ihn an.
»Finden Sie darin nicht eine entfernte Aehnlichkeit mit dem sozialen Leben? Jeder hat seine Bestimmung! Wieviele Ungleichheiten in dieser Baummenge! Die am höchsten ragen, entbehren der Pflanzenerde und des Wassers, sie sterben zuerst!«
»Es gibt deren, welche die Hippe der holzsammelnden Frau in der Anmut ihrer Jugend festhält!« sagte sie mit Bitterkeit.
»Verfallen Sie nicht wieder in solche Gefühle,« erwiderte der Pfarrer streng, wiewohl voller Duldsamkeit. Das Unglück dieses Waldes besteht darin, daß er nicht durchgeforstet ist; sehen Sie das Phänomen, das jene Massen dort zeigen?«
Véronique, welche für die Eigentümlichkeiten der Waldnatur wenig Unterscheidungsvermögen hatte, wandte aus Gehorsam ihren Blick nach dem Walde
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