Der Dorfpfarrer (German Edition)
Graslin die Gebäulichkeiten eines großen Pachthofs begonnen, welche die Absicht verrieten, aus den unbebauten Ländereien der Ebene Vorteile zu ziehen. Sechs in den Nebengebäuden untergebrachte Gärtnergehilfen, die einem Schloßhauptgärtner unterstellt waren, setzten in diesem Augenblicke die Anpflanzungen fort und vollendeten die von Monsieur Bonnet für durchaus nötig erachteten Arbeiten. Das Erdgeschoß des Schlosses, das ganz für den Empfang bestimmt, war prachtvoll eingerichtet worden. Der erste Stock war ziemlich kahl, da Monsieur Graslins Tod die Mobiliarsendungen unterbrochen hatte.
»Ach, Hochwürden,« sagte Madame Graslin, nachdem sie das Schloß von allen Seiten besehen hatte, »ich rechnete damit, eine Hütte zu bewohnen! Der arme Monsieur Graslin hat Narrheiten begangen ...«
»Und Sie,« fügte der Bischof nach einer Pause hinzu, als er den Schauder sah, den sein Wort Madame Graslin verursachte, »wollen Akte der Nächstenliebe begehen?«
Sie nahm den Arm ihrer Mutter, die Francis an der Hand führte, und ging mit ihnen bis nach der langen Terrasse, an deren Fuße Kirche und Pfarrhaus liegen, und von wo aus man die Häuser des Fleckens stufenweise sieht. Der Pfarrer belegte Hochwürden Dutheil mit Beschlag, um ihm das verschiedene Aussehen der Landschaft zu zeigen. Bald aber bemerkten die beiden Priester am anderen Terrassenende Véronique und ihre Mutter, unbeweglich wie Standbilder. Die Alte hatte ihr Taschentuch in der Hand und wischte sich die Augen ab, die Tochter hatte die Hände über die Balustrade ausgestreckt und schien auf die Kirche unten hinzuweisen. »Was haben Sie, Madame?« fragte Pfarrer Bonnet die alte Sauviat.
»Nichts,« antwortete Madame Graslin, die sich umdrehte und einige Schritte auf die beiden Priester zu machte. »Ich ahnte nicht, daß der Friedhof unter meinen Augen liegen sollte ...«
»Sie können ihn woanders hinlegen lassen; das Gesetz ist für Sie.«
»Das Gesetz!« sagte sie, indem sie das Wort wie einen Schrei ausstieß.
Da schaute der Bischof Véronique nochmals an.
Des düsteren Blickes müde, mit dem der Priester den Fleischvorhang, der ihre Seele verdeckte, durchbohrte und dort das in einem der Friedhofsgräber da unten verborgene Geheimnis überraschte, rief sie ihm zu:
»Nun gut; ja!«
Der Bischof legte die Hand vor die Augen und blieb einige Augenblicke über nachdenklich, niedergeschlagen.
»Stützen Sie meine Tochter!« schrie die Alte, »sie erbleicht.«
»Die Luft ist kräftig, sie hat mich angegriffen,« sagte Madame Graslin und fiel den beiden Geistlichen in die Arme, die sie in eines der Schloßgemächer trugen. Als sie wieder zu Bewußtsein kam, sah sie den Bischof und den Pfarrer für sie zu Gott beten, alle beide lagen auf den Knien.
»Möge der Engel, der Sie besucht hat, Sie nie mehr verlassen!« sagte der Bischof, sie segnend, zu ihr. »Leben Sie wohl, meine Tochter.«
Diese Worte ließen Madame Graslin in Tränen ausbrechen.
»Sie ist also gerettet?« schrie die Sauviat. »In dieser und in der anderen Welt,« sagte der Bischof, indem er sich umdrehte, bevor er das Zimmer verließ.
Das Zimmer, in welches die Sauviat ihre Tochter hatte tragen lassen, ist im ersten Stock des Seitenpavillons gelegen, dessen Fenster auf Kirche, Friedhof und den nördlichen Teil Montégnacs sehen. Madame Graslin wollte hier wohnen und richtete sich dort, so gut oder schlecht es gehen wollte, mit Aline und dem kleinen Francis ein. Natürlich blieb die Sauviat bei ihrer Tochter. Madame Graslin hatte einige Tage nötig, um sich von den heftigen Aufregungen, die sie bei ihrer Ankunft überkommen waren, zu erholen; ihre Mutter zwang sie übrigens alle Morgenstunden über das Bett zu hüten. Abends setzte Véronique sich auf die Terrassenbank, von wo aus ihre Augen über die Kirche, das Pfarrhaus und den Friedhof schweiften. Trotz des dumpfen Widerstandes, den die alte Sauviat dagegen erhob, machte Madame Graslin doch eine wahnsinnige Gewohnheit daraus, indem sie sich so auf demselben Platze niederließ und sich einer düsteren Schwermut hingab.
»Madame bringt sich um!« sagte Aline zur alten Sauviat.
Die beiden Frauen benachrichtigten den Pfarrer, der sich nicht aufdrängen wollte; er besuchte Madame Graslin, sobald man ihm eine seelische Erkrankung bei ihr mitgeteilt hatte, dann eifrig. Dieser wahrhafte Seelenhirt trug Sorge, seine Besuche zu der Stunde zu machen, wo Véronique sich mit ihrem Sohne, beide in Trauergewändern, in die Terrassenecke
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