Der Dorfpfarrer (German Edition)
Graslin stand auf, sah Farrabesche mit einer fast majestätischen Miene an und sagte zu seinem lebhaften Erstaunen zu ihm:
»Danke, mein Freund!« mit einer Stimme, die sein Herz bewegte. »Wo aber haben Sie den Mut hergenommen, zu leben und zu leiden?« fragte sie ihn nach einer Pause.
»Ach, Madame, Monsieur Bonnet hatte mir einen Schatz in die Seele gelegt. Auch liebe ich ihn mehr als ich je einen Menschen auf der Erde geliebt habe.«
»Mehr als Cathérine?« fragte Madame Graslin mit einer gewissen Bitterkeit lächelnd.
»Ja! Madame, fast ebensosehr!«
»Wie ist das denn gekommen?«
»Wort und Stimme dieses Mannes, Madame, haben mich gebändigt. Er wurde von Cathérine an die Stelle gebracht, die ich Ihnen neulich auf den Gemeindewiesen gezeigt habe; und er ist allein zu mir gekommen.
Er sei, sagte er zu mir, der neue Pfarrer von Montégnac, ich sei sein Pfarrkind, er liebe mich, er halte mich nur für verirrt und noch nicht für verloren. Er wolle mich nicht verraten, aber retten; endlich hat er mir jene Dinge gesagt, die einen bis auf den Grund der Seele aufwühlen! Und jener Mann da, sehen Sie, Madame, befiehlt einem das Gute zu tun, mit der Kraft derer, die einen das Böse tun lassen. Er kündigte mir armen verliebten Mann an, daß Cathérine Mutter sei; ich wolle zwei Kreaturen der Schande und der gänzlichen Verlassenheit preisgeben! ›Gut,‹ sagte ich zu ihm, ›sie werden's wie ich haben, ich hab' keine Zukunft.‹ Er antwortete mir, daß ich zwei üble Zukünfte hatte, die in der anderen Welt und die hienieden, wenn ich dabei bestehen bliebe, mein Leben nicht zu verbessern. Hier unten würde ich auf dem Schafott sterben. Wenn man mich gefangennähme, würde meine Verteidigung vor Gericht unmöglich sein. Wenn ich im Gegenteil die Nachsicht der neuen Regierung den durch die Konskription veranlaßten Dingen gegenüber benutze, wenn ich mich selber stelle, mache er sich anheischig, mir das Leben zu retten; er würde einen guten Advokaten für mich suchen, der es dahin brächte, daß ich mit zehn Jahren Zwangsarbeit davonkäme. Dann sprach Monsieur Bonnet von dem anderen Leben zu mir. Cathérine weinte wie eine Magdalena. ›Ja, Madame,‹ sagte Farrabesche auf seine rechte Hand zeigend, ›ihr Gesicht lag in dieser Hand und meine Hand war ganz feucht.‹ Flehentlich bat sie mich zu leben! Der Herr Pfarrer versprach, mir eine gute und glückliche Existenz zu verschaffen, ebenso meinem Kinde, und zwar hier, und er wolle mich vor jeder Beschimpfung schützen. Schließlich katechisierte er mich wie einen kleinen Jungen. Nach drei nächtlichen Besuchen machte er mich geschmeidig wie einen Handschuh. Wollen Sie wissen wodurch, Madame?«
Hier blickten Farrabesche und Madame Graslin sich an, indem sie sich ihre gegenseitige Neugierde nicht klarmachten.
»Nun,« fuhr der arme befreite Sträfling fort, »als er das erstemal fortging und Cathérine mich verlassen hatte, um ihn zurückzubringen, blieb ich allein. Da fühlte ich in meiner Seele etwas wie eine Erfrischung, eine Ruhe, eine Süßigkeit, wie ich sie seit meiner Kindheit nicht verspürt. Sie glich dem Glücke, das mir die arme Cathérine gegeben hatte. Die Liebe dieses teuren Mannes, der mich suchen kam, die Sorge, welche er sich meinetwegen, um meiner Zukunft, meiner Seele willen machte, all das bewegte mich, änderte mich. Ein Licht steckte er in mir an. Solange er zu mir sprach, widerstand ich. Was wollen Sie, er war Priester, und wir Räuber haben mit denen nichts zu schaffen. Als ich aber das Geräusch seiner und Cathérines Schritte hörte, oh, da wurde ich, wie er mir zwei Tage später sagte, von der Gnade erhellt. Gott gab mir von dem Augenblicke an die Kraft, alles zu ertragen: Gefängnis, Urteil, das Anschmieden und die Abreise und das Bagnoleben. Ich baute auf sein Wort wie aufs Evangelium; meine Leiden sah ich für eine zu bezahlende Schuld an. Wenn ich allzuviel duldete, sah ich am Ende der zehn Jahre dies Haus in den Wäldern, meinen kleinen Benjamin und Cathérine. Der gute Monsieur Bonnet hat Wort gehalten. Eines aber hat mir gefehlt. Cathérine war weder vor der Bagnotür noch auf den Gemeindewiesen. Sie muß vor Kummer gestorben sein. Darum bin ich immer traurig. Dank Ihnen werd' ich jetzt nutzbringende Arbeiten zu tun haben, denen will ich mit meinem Jungen, für den ich lebe, Leib und Seele widmen.«
»Sie machen es mir verständlich, wie der Herr Pfarrer die Gemeinde hat verändern können ...«
»Oh, ihm widersteht
Weitere Kostenlose Bücher