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Der Dorfpfarrer (German Edition)

Der Dorfpfarrer (German Edition)

Titel: Der Dorfpfarrer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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des Pfarrers, dessen Predigt, wiewohl sie in einfachen Worten und dem bäuerlichen Verständnisse entsprechend gehalten war, wahrhaft erhebend wirkte. Das Erhabene kommt aus dem Herzen, der Verstand findet es nicht; und die Religion ist ein unversiegbarer Born dieses Erhabenen ohne glänzende Feuer; denn der Katholizismus, der die Herzen durchdringt und ändert, ist ganz Herz. Monsieur Bonnet fand in den Episteln einen auszulegenden Text, der zeigte, daß Gott früher oder später seine Versprechungen erfülle, die Seinigen begünstige und die Guten ermutige. Er erklärte die großen Dinge, die sich für die Gemeinde aus der Anwesenheit einer mildtätigen reichen Frau ergäben, indem er auseinandersetzte, daß die Pflichten des Armen dem reichen Wohltäter gegenüber ebenso weit gehen, wie die des Reichen dem Armen gegenüber; ihre Hilfe müsse gegenseitig sein.
    Farrabesche hatte mit einigen von den Leuten, die ihn jener christlichen Nächstenliebe wegen, die Monsieur Bonnet in der Gemeinde in Ausübung gebracht hatte, gern sahen, über das Wohlwollen gesprochen, dessen Gegenstand er war. Madame Graslins Benehmen ihm gegenüber bildete den Gesprächsstoff der ganzen Gemeinde, die nach ländlichem Brauche vor der Messe auf dem Kirchenplatz versammelt war. Nichts war geeigneter, Véronique die Freundschaft dieser ungewöhnlich empfänglichen Gemüter zu erwerben. So fand sie denn auch, als sie die Kirche verließ, fast die ganze Gemeinde in zwei Reihen aufgestellt. Jeder grüßte sie, als sie vorbeiging, in tiefem Schweigen ehrfurchtsvoll. Sie war über solchen Empfang gerührt, ohne den wirklichen Grund dafür zu ahnen; sie bemerkte Farrabesche als einen der letzten und sagte zu ihm:
    »Sie sind ein geschickter Jäger, vergessen Sie nicht, uns Wildbret zu bringen!«
    Einige Tage später lustwandelte Véronique mit dem Pfarrer in dem dem Schlosse benachbarten Teile des Waldes und wollte mit ihm in die sich abstufenden Täler hinuntergehen, die sie von Farrabesches Hause aus gesehen hatte. Sie erlangte dann die Gewißheit der Lage der oberen Zuflüsse des Gabou. Dieser Prüfung zufolge bemerkte der Pfarrer, daß die Gewässer, welche einige Teile des oberen Montégnac befruchteten, aus den Bergen der Corrèze kamen. Diese Zackenketten vereinigten sich an dieser Stelle mit dem Gebirge durch jenen trockenen Abhang, der parallel mit der Kette der Roche-Vive lief. Der Pfarrer bekundete bei der Rückkehr von dem Spaziergange eine kindliche Freude: mit der Naivität eines Dichters sah er das Blühen seines geliebten Dorfes. Ist der Dichter nicht der Mensch, der seine Hoffnungen vor der Zeit erfüllt? Monsieur Bonnet mähte schon sein Heu, als er von der Höhe der Terrasse aus auf die noch unbebaute Ebene hinwies.
    Am folgenden Tage stellten sich Farrabesche und sein Sohn mit Wildbret beladen ein. Der Wächter brachte für Francis Graslin einen aus Kokosnußschale geschnitzten Becher mit, ein wahrhaftes Meisterwerk, das eine Schlacht darstellte. Madame Graslin erging sich in diesem Moment auf der Terrasse; sie stand auf der Seite, die auf les Tascherons blickte. Sie setzte sich auf eine Bank, nahm den Becher und betrachtete das Feenwerk lange. Einige Tränen kamen ihr in die Augen.
    »Sie haben viel aushalten müssen,« sagte sie nach einem langen Moment des Schweigens zu Farrabesche.
    »Was ist zu machen, Madame,« antwortete er, »wenn man dasitzt, ohne den Gedanken zu entfliehen, der das Leben fast aller Verurteilten erhält, fassen zu können? ...«
    »Das ist ein schreckliches Leben!« sagte sie mit beklagendem Tone, indem sie Farrabesche durch eine Geste und einen Blick zum Sprechen aufforderte.
    Farrabesche hielt das konvulsivische Zittern und all die Zeichen der Erregung, die er bei Madame Graslin sah, für ein lebhaftes Interesse mitleidiger Neugier. In diesem Augenblicke zeigte sich die Sauviat in einer Allee und schien kommen zu wollen; Véronique aber zog ihr Taschentuch, machte ein abwehrendes Zeichen und sagte mit einer Lebhaftigkeit, die sie der alten Auvergnatin niemals gezeigt hatte:
    »Lassen Sie mich, liebe Mutter!« »Madame,« sagte Farrabesche, auf sein Bein zeigend, »fünf Jahre lang habe ich eine an einem großen Ring befestigte Kette getragen, die mich an einen anderen Menschen band. Während meiner Zeit bin ich gezwungen gewesen, mit drei Verurteilten zusammenzuleben. Habe auf einer hölzernen Pritsche geschlafen. Ich mußte außergewöhnlich viel arbeiten, um mir eine kleine Matraze zu verschaffen,

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