Der Drache am Himmel
wir hätten doch die Möglichkeit zu helfen«, schloss ich. Réa dankte mir mit einem Blick, in dem ein intimer Glanz zu liegen schien. Offensichtlich war sie berührt, weil sie sich verstanden fühlte. Sie signalisierte mir eine Sympathie, die womöglich, nein: ganz sicher eine erotische Färbung hatte. Für einen winzig kleinen Moment bekam ich eine Ahnung davon, wie sinnlich und leidenschaftlich diese Frau sein konnte. Vorsicht, Heinrich!, dachte ich bei mir. »Wenn Sie mal Unterstützung brauchen, etwas Gedrucktes, Plakate zum Beispiel, dann können Sie auf mich zählen«, setzte ich hinzu. Sie legte den Kopf in den Nacken und sagte lachend:
»Eine Schande eigentlich, wie wenig ich über Sie weiß. Aber Barbara erzählt ja kaum etwas. Dabei hätte sie mir ruhig verraten können, was für ein famoser Mensch Sie sind. Um aber auf Ihr freundliches Angebot zurückzukommen: Eigentlich war es exactly das, worum ich Sie hätte bitten wollen. Wenn ich denn von mir aus den Mut dazu gefunden hätte.«
Unsere Begegnung fand ein abruptes Ende, als beim Wäldchen einer der Schwarzen auftauchte und Réa gestikulierend zu verstehen gab, man brauche sie. »Ich komme, Shandar!«, rief sie und ging sofort los.
Da ich ihr nachblickte, konnte ich ihren auffallend schön gerundeten, fellbespannten Hintern beim besten Willen nicht übersehen. Succubus , dachte ich, weil mir spontan ein Manuskript einfiel, das bei uns im Verlag kursierte. Ein Kapitel darin handelte von sexuellen Versuchungen. In dem Text ging es um die legendären weiblichen Dämonen, die den Mann zur Sünde verführten. Eine äußerst praktische Erfindung der Kirche, sehr nützlich jedenfalls für die Männer. Die hatten damit nämlich eine fabelhafte Ausrede, wenn sie mal wieder ihrer Gier erlegen waren. Denn den Reizen eines Weibes, das mit dem Teufel im Bunde stand, war natürlich auch der Charakterfesteste nicht gewachsen … Andere Kapitel ihres Textes widmete die Autorin den Konsequenzen dieser Phantasmagorie: der Hexenverfolgung, der Verbrennung unzähliger Frauen, die als Succubi enttarnt wurden.
Mama Rosas Räuspern und ihr besorgter Blick schreckten mich aus meinen Abschweifungen auf: »Henry, Sie wirken bedrückt. Ist Ihnen nicht gut?«, fragte sie.
Überrumpelt gab ich zu: »Lachen Sie nicht, aber ich musste gerade an Hexen denken.«
»Das ehrt Sie. Aber wie kommen Sie denn darauf? Kennen Sie etwa welche?«
»Ich habe ein Manuskript auf dem Tisch, übers Mittelalter und die Hexenverfolgungen. Aber eigentlich geht es um den freien Willen, um die Selbstverantwortung.«
»Verkauft sich so etwas denn?«
»Das hängt zu einem Gutteil vom Titel ab. Die Autorin schlägt Die Schuld der anderen vor. Der verhexte Mensch wäre wohl griffiger.«
Rosas Augen blitzten. »Das ist doch die reinste Leserverdummung. Als ob je eine Hexe irgendjemanden ›verhext‹ hätte! Alles nur billige Ausreden. Und von wegen Mittelalter. Erst gestern habe ich in unserem Lokalblättchen gelesen, dass der Vatikan beabsichtigt, dreitausend neue Exorzisten auszubilden. Ein ganzes Regiment im Kampf gegen den Teufel. Und wissen Sie auch, warum? Weil der werte Herr Pontifex seinen lieben Gott entlasten will. Deshalb hat die Heilige Römische Kirche , neuerdings fast ein wenig Deutscher Nation, den Teufel seinerzeit ja überhaupt erschaffen. Als Erklärung für das Böse. Das muss doch irgendwo seinen Ursprung haben, denn der liebe Herrgott kommt dafür natürlich nicht infrage. Deshalb haben der Ratzinger und die Heerscharen seiner Vorgänger ja auch immer voller Lust an der Biografie des Teufels gearbeitet, nicht wahr, Henry, das war doch ein raffinierter Schachzug! Der Teufel spuckt dem lieben Gott in seine schöne Schöpfung und ist überhaupt an allem schuld. Die Quelle alles Bösen. Deshalb ist er auch vollkommen unverzichtbar. Und wie könnte man eindrücklicher vorführen, dass es ihn wahrhaftig gibt, als durch drastische Aufrüstung! Wie mächtig muss der Teufel sein, dass es dreitausend frischgebackener Exorzisten bedarf, um ihn in Schach zu halten!«
Rosa blickte mich an, als würde sie keine Widerrede dulden. Dann lächelte sie, entschuldigte sich für ihren Ausbruch und sagte im Weggehen, eigentlich sei ja ihr Sohn für solche Themen zuständig. »Aber passen Sie auf, Lauterbach, dass er Ihnen den Teufel nicht wieder einredet.«
Als ich durchs Wäldchen in den Park zurückkehrte, war ich voller Staunen: Diese Rosa Belzer! Was für eine umwerfende Frau. Und wie
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