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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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leidenschaftlich gern mit mir rang. Nochmals holte er Wein, diesmal nur für sich. Doch den Anschluss fanden wir nicht mehr.
    »Das sollten wir bei Gelegenheit unbedingt fortsetzen. Ich messe mich gern im theologischen Disput. Aber in dieser Stadt finde ich keinen, der dazu Lust hat. Ha! Das sei dir gesagt, verehrter Henry, du bist kein einfacher Widersacher, fabelhaft. Doch Schluss für heute. Gerade beginnt der neue Tag, Prosit!« Er lachte und mir fiel eine unbestimmte Verlegenheit um seinen Mund herum auf. Woher kam die? Sein Selbstwert konnte sich doch auf einen brillanten Verstand und solide Bildung stützen. Nun, ich vermochte seine verkappte Unsicherheit nicht einzuordnen.
    Barbara und ich gestanden uns bei solchen Partys gegenseitig größtmöglichen Freiraum zu. Dafür schilderten wir uns jeweils später im Bett, was ich auf »meinem« und sie auf »ihrem« Fest erlebt hatten. An diesem Abend waren wir uns selten über den Weg gelaufen. Zweimal nur hatten wir miteinander getanzt, aber das Feuerwerk sahen wir Hand in Hand.
    Jetzt entdeckte ich meine Frau auf der pompösen Treppenarena zur Villa neben einem schwergewichtigen Mann im Bademantel, der gerade versuchte, seine Hand auf ihren Schenkel zu legen. Sie zwinkerte mir zu, als sie sich diese Hand schnappte, um sie mir entgegenzuhalten. »Darf ich Ihnen meinen Mann vorstellen? Henry, das ist unser werter Herr Gerichtspräsident.« Es war einer jener kecken Einfälle, mit denen sie mich immer wieder erheitert. Ich nahm die Hand und schüttelte sie ausgiebig. »Sehr erfreut!«
    Der Präsident war betrunken genug, um sein Verhalten nicht als peinlich zu empfinden: »Ich wa-warne Sie! Diese Sch-Schenkel sind ein gefährliches Att-Attentat auf die Sta-Standhaftig…«
    Wir überließen den Herrn Gerichtspräsidenten sich selbst. Um den Pool herum standen Grüppchen im Gespräch zusammen, im Wasser selbst war Hochbetrieb. »Wollen wir auch?«, fragte ich Barbara.
    »Besser nicht. Wenn ich schon im Kleid so gefährlich …«, kicherte sie und küsste mich, »aber ich freue mich schon auf unseren Bettklatsch. Doch den verschieben wir lieber auf morgen früh. Ich bin nämlich sehr müde und setze mich auch gleich ab. Aber warum gönnst du dir nicht zur Abwechslung mal ein Bad in aller Verruchtheit?«
    Als sie gegangen war, stand ich eine Weile unschlüssig herum. Das mit der Verruchtheit war mehr als eine ironische Anspielung. Zielte vielmehr auf etwas, was Barbara mir in letzter Zeit schon öfter vorgeworfen hatte. »Du hast dich immer so im Griff, Henry. Bist immer anständig. Immer vernünftig. Immer versöhnlich. Immer perfekt.«
    Als ich vor einem Monat einer Angestellten, die mich bestohlen hatte, freiwillig eine hohe Abfindung zahlte, schrie Barbara mich an: »Dieser Schlampe auch noch Geld in den Hintern zu schieben, ich fass es nicht. Bist du denn der Heiland, oder was?«
    Damals hatte ich erkannt, dass als Mensch nur erträglich ist, wer auch einige Unzulänglichkeiten vorweisen kann. Wer nie Fehler macht, ist für die anderen anscheinend irgendwie »unverdaulich«. Ich vermute, dass Schwächen als menschlich gelten, weil sie ein Indiz für Sterblichkeit sind. Einem Unsterblichen würde niemand gewachsen sein können … Im Übrigen hatte ich selbst, damals noch in der Großstadt lebend, erstmals ein seltsames Verlangen verspürt. Es ist schwer zu beschreiben. Jedenfalls hatte ich plötzlich diese Anwandlungen, einmal selbst zweifelnd oder widersprüchlich zu sein. Eine schiere Köstlichkeit müsste es sein, einmal, ein einziges Mal nur, auszurasten oder etwas Ordinäres zu tun. Das war natürlich eine banale Verlockung. Aber die Sehnsucht tauchte immer wieder auf, einmal sogar die Rache zu kosten, die Rücksichtslosigkeit zu schmecken. So war ich zu dem Entschluss gekommen, meinen Charakter zu verbessern, indem ich mir ab und an auch Fahrlässigkeiten gestattete.
    Es ist also nicht auszuschließen, dass Barbaras ironische Aufforderung, in aller Verruchtheit ein Bad zu nehmen, zu meinem persönlichen Schlussakkord des Festes beitrug. Jedenfalls entkleidete ich mich unauffällig bis auf die Unterhose und sprang in den Pool. Alle darin hatten alkoholdurchwärmte Leiber und schwelgten in Hochstimmung. Einige entledigten sich unter Wasser noch ihrer Restwäsche. Offenbar war Ausgelassenheit nackt noch schöner. Um zwei farbige Bälle entstand ein schäumendes Gerangel. Alles wirkte ein bisschen weinselig und kindisch, aber ich hielt mit. Am Beckenrand sah ich

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