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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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sich selbst zu, die Misserfolge irgendwelchen anderen beziehungsweise den Umständen und Verhältnissen. Gelingt ihnen Gutes, buchen sie es auf ihr Konto. Richten sie Schaden an, schieben sie die Verantwortung weit von sich. Schwarzer Peter scheint der Menschen liebstes Spiel zu sein. Genau diese Schindluderei mit der Verantwortung war es doch, die mich zutiefst erbost hatte …
    Dass ich so lange meinen Gedanken nachhing, schien Carla zu irritieren. Als wolle sie mich ins Hier und Jetzt zurückholen, rüttelte sie mich leicht an der Schulter.
    »Bin ich dir irgendwie zu nahe getreten? Das habe ich nicht gewollt. Und es ist ja auch nicht so, dass ich undankbar wäre, wirklich nicht. Nur fühle ich stärker als früher die Verpflichtung, aus meinen Privilegien etwas Sinnvolles zu machen. Bloß, dass ich irgendwie nicht so recht weiß, wie und wo ich …«
    »Man müsste doch meinen, Freiheit sei etwas Leichtes«, sagte ich und meinte es sehr ernst. »Irgendwo habe ich einmal gelesen, die Wahlfreiheit sei sozusagen die eigentliche Pointe des Menschseins.«
    »Leider habe ich erst vor Kurzem damit begonnen. Die Arbeit als Laienrichterin gehört dazu, glaube ich. Aber ich bin gerade mal zwei Jahre dabei und nur Ersatzschöffin. Wurde bisher erst dreimal aufgeboten, jeweils für ein paar Wochen. Mir selbst tut es gut, obwohl es mich auch sehr belastet. Weniger gut tut es jedoch meinem Menschenbild.« Ihr Gesichtsausdruck war jetzt schwer zu deuten: Lag Ironie darin? Verzweiflung? Verachtung?
    »Weil ihr dabei über schwere Verbrechen zu urteilen habt?«, fragte ich.
    »Unsere Täter sind ja in aller Regel nicht geständig und wir müssen die Schuldfrage klären. Schon da tun sich Abgründe auf. Was im Auge Justitias gelogen wird! Du glaubst es nicht. Aber wenn es darum geht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, ist offenbar alles erlaubt …«
    Es wurde noch ein sehr intensives Gespräch. Nach einer Weile fiel mir auf, dass die Anspannung aus Carlas Gesicht verschwunden war. Als wir auseinandergingen, dankte sie mir dafür, dass ich mit ihren Kindern gespielt hatte. In ihrem Blick lag dabei – wie soll ich sagen – Respekt? Nein, eher eine gewisse Zärtlichkeit. Das irritierte mich.
    Auf dem Weg zum See traf ich auf Aldo Bellini, der mir spontan auf die Schulter klopfte. Er war etwas kleiner als ich, aber um einiges schwerer. Sein Kampfgewicht minderte aber nicht die Beschwingtheit seiner Bewegungen. Erst später, als ich ihn schon besser kannte, sah ich darin eine gewisse Hektik.
    Aldo hatte schwarzes Haar, an den Schläfen gekräuselt, und einen beinahe olivefarbenen Teint. Etwas Kumpelhaftes und irgendwie Munteres ging von ihm aus, so gediegen er sich auch kleiden mochte. Sein offener Blick hatte etwas Treuherziges. Ich konnte ihn mir gut als hübschen Jüngling vorstellen. Vielleicht lag es daran, dass mir sein Gesicht wenig altersgerecht vorkam. Es war zu harmlos, die Nase zu neckisch. Von Rosa wusste ich, dass er einundvierzig war.
    Bellini lag offensichtlich viel daran, ein Gespräch in Gang zu bringen. Er offerierte mir sprunghaft verschiedene Themen und mir kam das vor, als drücke er mir jedes Mal einen anderen Drink in die Hand, um nochmals und nochmals mit mir anzustoßen. Um etwas zur Entspannung beizutragen, lobte ich das Fest, den Park und seine Kinder.
    »Leider habe ich viel zu wenig Zeit für Fiona und Fabio. Früher standen wir uns viel näher. Gegenwärtig aber ist das Business dermaßen turbulent«, sagte er und ich spürte, dass er sich von diesem Thema nicht so schnell wieder würde abbringen lassen.
    Ich war überrascht von der Offenheit, mit der er über seine geschäftlichen Schwierigkeiten sprach. Ich hörte ihm zu. Hakte einige Male nach und traf dabei offenbar immer einen neuralgischen Punkt: die Produktionskosten in Europa, ein undifferenziertes Marketing, das die Mentalität der einzelnen Länder zu wenig berücksichtigte … Jedenfalls gewann er wohl den Eindruck, ich verstünde etwas von seiner Branche. Also ging er in die Details. Jetzt wurde es immer vertraulicher, aber auch düsterer. Das Klagelied eines Mannes, der von Sorgen umstellt war. Unseren Austausch schien er sehr zu genießen. Er war richtig in Fahrt gekommen. Doch dann legte er plötzlich eine Vollbremsung hin.
    »Schön, Sie bei uns zu haben. Ihre Fragen waren sehr nützlich. Spezifische Erfahrungen mit Textilien haben Sie aber nicht?«
    »In gewisser Weise schon«, sagte ich mit einem Grinsen, »wir handeln beide mit

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