Der Drache am Himmel
Stoffen. Sie mit Kleider-, ich mit Lesestoff. Es gibt also durchaus Gemeinsamkeiten.«
Er lachte ausgelassen, als wäre ihm plötzlich jegliche Last von den Schultern genommen worden. Wir müssten im Gespräch bleiben, sagte er und schlug mir eine Verabredung zum Essen vor. Ich sagte gern zu.
Mir ging es gut. Ich fühlte mich angenommen. Zu drei neuen Menschen hatte sich schon eine gewisse Nähe eingestellt: zu Carla Bellini, zu Mama Rosa und jetzt auch zu Aldo. Doch während der Drache, den ich zur Erbauung der Gäste mitgebracht hatte, knisternd den Nachthimmel illuminierte, wurde ich plötzlich von einer äußerst unangenehmen Assoziation überrollt. Sie ging, wenn ich mich nicht täusche, auf eine Schrift Thomas von Aquins zurück, die ich vor Jahren einmal gelesen hatte und die mir jetzt das Blut in den Adern gefrieren ließ, sozusagen. Darin lässt der Satan »das Feuer vom Himmel fallen« und verursacht »knisternde Gewitter und ähnlich heftige Erscheinungen«. Einen Moment lang schämte ich mich meines Gastgeschenks … Dabei war mein knisterndes Ungetüm ja höchst irdischen Ursprungs. Für 1350 Euro bezogen bei einem taiwanesischen Importeur in Frankfurt.
Kaum war das Feuerwerk zu Ende, sprach mich Réa, die Künstlerin, an. Sie war überbordend gut gelaunt und fest entschlossen, mich näher kennenzulernen. Einer der Gründe dafür wurde rasch klar. Sie suchte Sponsoren für eine geplante Aktionswoche für ihre Flüchtlinge, die Sans Papiers. Vorgesehen war eine Reihe medienwirksamer Events. Und die Hauptbühne für all das sollte Severin Belzers Münster sein. Der Pfarrer allerdings zögere noch, die Genehmigung dafür zu erteilen. Ich konnte mir auch denken, warum: weil es um viel mehr als eine schlichte Raumvergabe ging. Das Kirchenasyl würde die Schwarzen vor staatlichem Zugriff schützen. Und ihn, Severin Belzer, möglicherweise vor unüberschaubare Schwierigkeiten stellen.
Es war geplant, einzelne Flüchtlingsschicksale auf die Bühne zu bringen. Seit Wochen schon schrieben Réa und einige Mitstreiter nächtens an den Dialogen. Außerdem würde es Tanzperformances und Konzerte geben. »Wahrscheinlich tritt sogar der Wecker auf. So kommen die Medien garantiert nicht dran vorbei. Zusätzlich gibt es afrikanisches Essen, hot and spicy, und hoffentlich ebenso scharfe Reden!«
Sie war von bezwingendem Enthusiasmus, wie sie das vortrug, blond, sinnlich, etwas drall, aber keineswegs ordinär. Aus ihren blauen Augen schossen kluge Blitze. Und kleine Lichtblitze schossen ab und an auch aus ihrem Mund, denn einer ihrer Schneidezähne war mit einem winzigen Diamanten versehen. Der Effekt war nicht ohne … Für einmal dachte ich etwas sehr Einfaches, nämlich nur: hui!
Severins Zögerlichkeit bedrückte sie. Dabei hatte ihr Lebensgefährte zunächst nicht einmal ablehnend reagiert, im Gegenteil. Er hatte sogar eigene Ideen entwickelt, zusammen mit ihr. Severins Einfall war es auch gewesen, Wecker anzufragen, weil einer seiner alten Freunde aus dem Internat den Sänger persönlich kannte. Doch dann hatte Severin unvermittelt einen Rückzieher gemacht. Warum, wusste sie nicht so genau, sie hatte aber einen Verdacht. »Als Münsterherr muss er vielleicht mehr Rücksichten nehmen als Sie. Das Kirchenasyl ist ja sehr umstritten.«
»Genau! Rücksichten! Aber niemand nimmt Rücksicht auf ein paar arme Schweine, die nirgends hingehören, verstehen Sie, Henry? Es ist doch eine Schande, wie ignorant wir alle sind. Kopf in den Beton und Arsch in die Luft, als ob das die Tragödie entschärfen könnte. Wir wollen einfach nicht wahrhaben, dass da eine himmelschreiende Völkerwanderung im Gange ist. Millionen sitzen auf ihren Bündeln. Und sie werden kommen, weil sie nirgends sonst menschenwürdig leben können!«
Ich wunderte mich, dass dieses schön geformte Lippenpaar Worte wie Schweine und Arsch überhaupt bilden und dann auch noch mit einem kleinen Diamantfunkeln ausspucken konnte. Ich holte zu einer längeren Antwort aus: »Ja, die Welt wird an der Kluft zwischen Arm und Reich zerbrechen, wenn nicht endlich etwas geschieht. Für mich sind Flüchtlinge Menschen, die ihr Schicksal beim Schopf packen. Sie rappeln sich auf, nehmen Strapazen auf sich, um selbst einen Ausweg aus ihrem Elend zu finden. Eigentlich müssten wir ihnen den Rücken stärken, damit sie dereinst ihre korrupten Führer verjagen können … Wir hier in der reichen westlichen Welt dürfen uns nicht länger aus der Verantwortung stehlen. Denn
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