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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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das in regelmäßigen Abständen Kreidestaub ausstieß. Wie hieß der doch gleich?«
    »Wolf, Herr Böse-Wolf!«, scherzte Réa. Henry schien die Anspielung überhört zu haben, blickte auf die Uhr, kniff die Augen zusammen und murmelte: »Der Name liegt mir auf der Zunge. Später fällt er mir bestimmt wieder ein. Soll ich ihn dir dann mailen?«
    Er wird gleich aufbrechen, dachte Réa. Nach dem Blick auf die Uhr hatte er das Gesicht verzogen. Also war er spät dran. Ich sollte ihn einfach in den Arm nehmen. Ihn einfach küssen. Und sein Mund soll überhaupt keine Namen nennen, sondern nur küssen.
    »Das wird phantastisch. Ich finde das Konzept raffiniert und reich an Anspielungen. Und die Ausführung ist ästhetisch sehr ansprechend«, sagte Henry.
    Réa nahm das Lob nur mit halbem Ohr auf. Warum, verflucht noch mal, war dieser Mann unablässig darauf aus, einem zu helfen? Allen half er! Irgendwie war das ärgerlich. Exklusiv schien es diesen Henry nie zu geben.
    »Warum tust du das? Warum bist du immer so hilfsbereit?«
    Er blickte wieder auf die Uhr. Als er aufsah, lächelte er.
    »Was weiß ich? Ich bin eben so. Es macht mir Freude. Und auf diese Weise habe ich auch ein bisschen Anteil an deiner Kunst. Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass du eine große Zukunft hast.«
    »Du meinst, es lohnt sich, in mich zu investieren?« Es klang sarkastischer, als sie es meinte.
    »Du hast mich durchschaut! Rentieren muss es sich!«, lachte Henry und gab ihr mit kleinem Klaps auf die Schulter zu verstehen, dass er bloß scherzte. »Ich will mich bestimmt nicht aufdrängen. Vielleicht ist es einfach meine Art, Sympathie auszudrücken. Doch jetzt muss ich los, sonst verpasse ich noch meinen Termin. Das hier wird sehr eindrucksvoll. Hoffentlich klappt es mit der geflüsterten Tonpoesie.«
    Als Réa wieder auf die Leiter stieg, konnte sie es immer noch kaum fassen, wie schnell er fort gewesen war. Lange stierte sie auf das angefangene Wort. trau stand, e und r fehlten noch. Lange spürte sie seinem Auf- und Abtritt nach, überzeugt davon, dass sein Termin nur vorgeschoben war. Vielleicht würde er plötzlich wieder in der Tür stehen. Sie musste lachen, weil ihr einfiel, dass er die Schachteln mit den Mikrofonen bereits bei seinem ersten Auftauchen bei sich gehabt hatte. Er hätte gar nichts holen müssen. Übermütig entledigte sie sich wieder ihrer Bluse und ließ sie auf den Boden fallen. Bald würde es dunkel werden. Sie freute sich darauf, bald mit dem Flüstern beginnen zu können. Vielleicht würde sie Henry nachher noch anrufen unter irgendeinem Vorwand – eindeutig war jetzt ein E dran … traue…
    Die Mikrofone erwiesen sich als ausgezeichnet. Nachdem sie eine weitere Nacht der Tonspur gewidmet hatte, war ihr das unbequeme Feldbett plötzlich zuwider. Sie wollte endlich wieder einmal richtig durchschlafen.
    Eben hatte es zwei Uhr geschlagen. Im Pfarrhaus, das sie nach fünf Minuten Fußweg erreicht hatte, war es dunkel. Sie ließ ihren Mantel einfach in der Diele fallen, streifte die Schuhe ab und tastete sich leise an Severins Arbeitszimmer vorbei. Wenn er allein war, übernachtete er immer hier auf der Couch. Sie verspürte eine genüssliche Vorfreude auf das leere Doppelbett oben im Schlafzimmer.
    Ein Schnalzen, ein Klicken, ein Schnalzen … Kam es aus Severins Raum? Sie kehrte zur Tür zurück und hielt horchend den Kopf daran. Eindeutig! Also schlief er noch nicht. Sie öffnete leise die Tür: Das Zimmer war spärlich erhellt, Severin über den Schreibtisch gebeugt, den Kopf halb unter dem Schirm der Tischlampe verborgen. Er saß nicht wie sonst hinter dem Tisch, sondern davor, hatte ihr also den Rücken zugewandt. Das war irritierend genug. Zudem stapelten sich die Bücher und Manuskripte, die üblicherweise die Tischfläche bedeckten, neben seinem Stuhl. Dafür hockte neben seiner Schulter eine große, zerschlissene Pappschachtel, aufgeklappt. Severin schnalzte. Es klickte. Aus der Schachtel ringelten sich Drähte oder Schnüre. Was er vor sich liegen hatte, konnte sie nicht sehen, nur eine Weinflasche und ein Glas neben dem Fuß der Lampe. Doch ein Wippen seiner Ellbogen verriet, dass er etwas mit den Händen machte. Presste oder schraubte er etwas zusammen? Aber da hatte Réa ihren Blick schon zurück- und die Tür zugezogen. Sie horchte. Keine Reaktion von innen. Severin hatte nichts bemerkt.
    Sie schlich davon.
    Ohne das Licht anzuschalten, warf sie sich in den Kleidern aufs Bett. So würde sie

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