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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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werden. Wie um sie zu ermahnen, klingelte jetzt das Telefon. Carla bat um ein Treffen, es sei wichtig.
    »Hier zum Tee, um 15 Uhr? Viel Zeit hab ich allerdings nicht.« Eigentlich hatte Réa heute nicht die kleinste Störung zulassen wollen. Aber Carlas Stimme hatte sie an etwas erinnert, wozu sie unbedingt ihre Meinung erfahren musste … Nur deswegen war sie ohne Zögern auf das Treffen eingegangen.
    Carla hatte das Atelier kaum betreten, als Réa sie schon um ihre Meinung bat.
    »Findest du eigentlich, dass Henry etwas Gelacktes hat?«
    »Wer behauptet denn so was? Der Herr Liebreiz vom Dienst ist er doch.«
    »Ich finde es ja auch Unsinn. Vergiss es. Jemand, der ihm nicht gewachsen ist.«
    Carlas klare Einschätzung befriedigte Réa ungemein, auch wenn Herr Liebreiz in ihren Ohren lächerlich klang. Das passte nicht zu Henry. Aber Carla erlebte ihn halt vorwiegend als liebevollen Besucher und Familienfreund, der mit Fabio und Fiona Schabernack trieb. In einem ihr unangenehmen Anflug von Schlüpfrigkeit dachte Réa, dass sie mit Henry ganz anderen Schabernack treiben würde. Im Übrigen hatte sie gerade verpasst, was Carla gesagt hatte.
    »Wie bitte?«
    »Die Maske gehört nicht wirklich zur Sammlung. Sie sei handwerklich schlecht gemacht, meint Aldo.«
    »Ist er nicht eigentlich wieder in Ghana?«, hakte Réa nach.
    »Du hörst mir ja gar nicht zu. Hast immer nur dein Projekt im Kopf.«
    »Natürlich höre ich dir zu«, wehrte sie sich, dachte aber: Henry ist doch kein Projekt! Obwohl … eine Art Projekt ist es ja schon, ihn aus der Reserve zu locken …
    »… weiß ich ja, dass es Zufall sein kann. Aber dreimal! Und immer am Tag darauf. Bei zwei Vorfällen bin ich mir hundertprozentig sicher.« Und Carla schob ihr ein Blatt zu.
    Réa starrte auf die Einträge, die ihr nichts sagten. Rom / Accra / Accra , jeweils mit Wochentag und Datum versehen. Und die beiden Accra-Daten waren angekreuzt. Das müssen die zwei angeblich verbürgten Vorfälle sein – welcher Art auch immer –, dachte Réa und wagte zu behaupten: »Zweimal ist keinmal. Aber warum bist du dir eigentlich so sicher?«
    »Als Aldo aus Rom zurückkam, habe ich nicht nachgeschaut, da hatte ich noch keinen Verdacht.«
    »Die anderen beiden Male hast du nachgeschaut? Immerhin!«, sagte Réa kühn, obwohl sie immer noch nicht wusste, worum es ging.
    Carla fand Réas Bemerkung schlüssig. »Genau das denke ich auch: Immerhin! Schau mal«, und Carla tippte auf das Blatt. »Am 13. und am 26. kehrte er aus Ghana zurück. Am 14. und 27. kontrollierte ich den Schrank. Beide Male war die Larve weg.«
    »Weg! Die Larve war weg!«, echote Réa, vom wahnwitzigen Einfall aufgeschreckt, Carla könne Aldo für den maskierten Verrückten halten, über den die Zeitungen immer wieder berichteten. An die zehn Mal war er mittlerweile aufgetreten. Damit konnte Aldo nichts zu tun haben. Aber wovon war dann die Rede? Ach, warum nur hatte sie dem Treffen zugestimmt; sie hätte Carla ja auch am Telefon über Henry ausfragen können … Henry … Herr Liebreiz … nicht doch!
    »Es bleibt unter uns, ich muss mich darauf verlassen können, bitte, Réa. Es ist zu absurd. Ich komme mir schäbig vor. Als ob ich Aldo, der sich abrackert wie noch nie, in den Rücken falle.«
    »Du musst dich nicht schäbig fühlen. Das bringt doch nichts«, sagte Réa und vermochte einfach kein Interesse aufzubringen … Warum nur hielt sich Henry so zurück? Wer war er eigentlich? Kannte sie ihn überhaupt?
    »Weiß Gott nicht! Aldo verdient das auch nicht. Er ist nicht krank. Ich hätte etwas merken müssen. Oder ist dir je etwas aufgefallen? Aldo ist doch selbst extrem schreckhaft. So einer zieht nicht durch die Nacht, um anderen Leuten Angst einzujagen!«
    Also doch! Das letzte Stück und jäh war das Puzzle vollständig. Genau um diesen ungeheuerlichen Verdacht ging es also!
    »Nein, das kann nicht sein, unmöglich«, murmelte Réa, um ihre Bestürzung zu verbergen. Aldo als maskierter Exhibitionist? Ausgeschlossen! So wenig, wie Henry ein verkappter Junkie war. Dass man niemanden wirklich kenne, war doch nur eine Floskel. Als ob alle irgendwelche Abgründe verbergen. Banalität war der eigentliche menschliche Wesenszug. Sie schloss sich da durchaus mit ein. Was ihr einfiel, war zu neun Zehntel belanglos. Beachtung verdiente allenfalls das restliche Zehntel. Es bestand aus ihren Widersprüchen. Doch auch die waren im Grunde banal. Jeder hatte davon. Sie waren nichts Besonderes. Vermutlich

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