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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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Beste, jetzt ans Licht zu gehen. Ich wandte mich zum Haus. Réas dunkel erregter Blick tauchte vor meinem inneren Auge auf. Lauter Küsse fielen mir ein, einer eindringlicher als der andere. Brutus küsste Cäsar, bevor er ihn erstach. Judas küsste seinen Meister und die Tragödie nahm ihren Lauf. Paris küsste seine Helena und Troja ging unter. Auf der Treppe zur Veranda blickte ich nochmals zurück. Diesmal war das Wispern unüberhörbar: Deine Schonzeit ist um, Heinrich. Deine Protagonisten geraten ins Straucheln. Deine Schuld ist es nicht und ich weiß auch, dass du nicht schadenfroh bist. Und dennoch muss es dich freuen. Denn nur so kannst du beweisen, was du beweisen wolltest. Pass auf dich auf, Heinrich! Das, womit du da spielst, ist nicht bloß bengalisches Feuer.

Zweiter Teil: Das Experiment

Kleiner Prolog
    E r sagt: »Wir sind eine infame Erfindung. Nie gab es den Asasel, nie Satanus. Keinen Beelzebub oder Belial gab es je, nie den gefallenen Engel, der die Ebenbilder des Großen G. zum Bösen verleitete.«
    Es sagt die Meisterin : »Kein Beweis ist schwerer zu führen als der, dass etwas nicht existiert.«
    Er sagt : »Schau auf diese Stadt. Siehst du etwa, dass einer der Unsrigen diese Menschen in Versuchung führt? Einen, der sie verleitet zu Habgier oder Eitelkeit oder was der Sündenfälle mehr sind?«
    Die Meisterin lächelt . »Du erheiterst mich. Den einen sehe ich wohl am Werk … wenn auch durchaus standhaft, Kompliment, lieber Heinrich.«
    Er ereifert sich : »Jawohl! Einer, der ihnen freundlich rät, dient und hilft. Ich bilde mir nichts darauf ein, denn so bin ich in meinem Experiment ja angelegt. Und dennoch keimen schon überall Gelüste, Neid und Täuschung. Sie wüssten es besser und machen doch andere leiden. Womit endgültig bewiesen ist …«
    Die Meisterin sagt : »… dass es Menschen sind, mein Freund!«
    Er ruft : »Nein, dass sie sich selbst verführen! Nicht wir, sie selbst sind es, die die Lunte legen. Keine andere Hölle weit und breit als die selbst erschaffene. Nicht bloß, dass ich keinem ein Bein stelle – wenn einer strauchelt und fällt, helfe ich ihm sogar auf. Wehe ihnen also, sie wagten es jemals wieder, mich für irgendetwas haftbar zu machen. Nie mehr werden sie mich herbeiphantasieren können!«
    Die Meisterin sagt : »Blind bist du geworden aus lauter Kränkung. Auch wenn du sie nicht verführst, so führst du sie doch vor! Charmant und freundlich ist das nicht. Grausam mutet mich das an.«
    Er sagt : »Grausam ist, dass sie uns seit zweitausend Jahren missbrauchen. Wann immer etwas unmenschlich ist, nennen sie es teuflisch . Diese Mär geht auf unsere Kosten. Sie klagen, der Teufel habe sie geritten! Ha! Welch infernalische Ausrede! Wenn einer dem anderen etwas Böses zufügen will, überlistet er einfach vorgängig sein Gewissen. Und weißt du, wie das geht? Kennst du den Trick?«
    Die Meisterin schweigt.
    Er fährt fort : »Durch präventive Verteufelung . Alle machen sie das so. Wer dem Nachbarn an den Kragen will, redet sich zuvor ein, dieser Nachbar sei ein infamer Bursche, der nichts Besseres verdiene. Er verteufelt ihn. Will ein Völkchen kollektiv einem anderen an die Gurgel, so wird zuvor dessen Abwertung inszeniert: minderwertige Kultur, primitive Religion. Es wird verteufelt. Darf ich denn nicht wenigstens erwarten, dass sie uns semantisch in Ruhe lassen? Und dass sie zoologisch korrekt in einer Schlange endlich nur noch eine Schlange sehen!«
    Die Meisterin seufzt . »Vielleicht ist die Psychologie dieser Wesen vielschichtiger, als du es dir vorstellen kannst. Gut und Böse sind einander näher verwandt, als du glauben magst …«
    Er schreit : »Glaube! Psychologie! Alles missbrauchen sie doch. Geben liebend gern dem Unterbewussten die Schuld. Fehlt nur noch, dass sie uns dort vermuten …«
    Die Meisterin sagt : »… und noch etwas übersiehst du in deinem Zorn. Nicht nur die Selbstsucht ist es, von der sich die Menschen leiten lassen, sondern auch die Liebe. Aber davon, mein Freund, verstehst du vielleicht zu wenig. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf …«

5
Rote Kreide
    T agsüber arbeitete Réa an ihrer Mauer, nachts am Flüstern. Auf das weiß getünchte Mauerstück, das mitten im Atelier auf einem Metallträger ruhte, spachtelte sie winzige Gipsbuchstaben, ebenfalls in reinstem Weiß. Stundenlang formte und feilte sie an den kaum wahrnehmbaren, nur wenige Millimeter erhabenen Konturen. Kniend, stehend oder auf der Leiter hockend reihte sie

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