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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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schlafen. Ihr Atem ging schwer. Also knöpfte sie doch die Bluse auf. Dabei war an einem bastelnden Mann natürlich nichts Atemraubendes. Der Gedanke erheiterte sie, aber nur kurz. Severin hatte noch nie gebastelt. Nie einen Mixer, nie eine Taschenlampe repariert. Was sie da beobachtet hatte, ergab also nicht den geringsten Sinn. Es war beunruhigend. Das Bild, das Severin geboten hatte, kam ihr wie eine Fälschung vor. Darüber hinaus erinnerte sie sich plötzlich, neben dem Bücherstapel auch eine Metallkiste gesehen zu haben. Wozu war die gut? Diente sie als heimliches Archiv erotischer Raritäten? Zur brandsicheren Ablage seiner Predigtmanuskripte? Und die aus der Schachtel sprießenden Drähte stellten dann wohl die direkte Verbindung zum Allerhöchsten her? Schon amüsant, was einem die Phantasie so alles zutrieb. Dabei war sie eigentlich erschöpft.
    Ihre Unruhe wollte nicht abklingen. Genervt strampelte sie sich aus der Hose. Für das seltsame Schnalzen war ihr mittlerweile eine Erklärung eingefallen, wenn auch eine peinliche. Genauso hörte es sich an, wenn Severin krampfhaft versuchte, beim Akt den Orgasmus zurückzuhalten.
    Réa entspannte sich, indem sie sich mit sanften Händen den Bauch streichelte. Sie dämmerte weg: Henry trat ins Atelier, schaute sie an, schwang herum, war fort und wirbelte wieder herein, wie gefangen in einer Drehtür. Kurz tauchte Réa wieder aus ihrer Traumtrance auf und tastete mit den Fingern die Nähte und das feine Gewebe ihres BHs ab. Sie hielt die Augen geschlossen. Aber sein Gesicht war da. Bevor sie einschlief, sah sie gerade noch jenes unverschämte Blinzeln von damals. Mit diesem Blinzeln hatte ihr Henry vor Monaten auf dem Maskenfest der Bellinis den Tanz ausgeschlagen und war Rosa nachgeeilt.
    Als sie wieder zu sich kam, war das Zimmer hell und am Bettrand saß Mama Rosa in einem überwältigend azurblauen Morgenmantel. Auf den Schultern kringelte sich ihr weißes Haar.
    »Entschuldige, Réa! Jetzt hast du mich ertappt. Aber wie ich dich so schlafen gesehen habe … so herzergreifend entrückt … Ich musste dich einfach anschauen.«
    »Wusstest du …«
    »Gar nichts weiß ich. Ich bin durchs Haus gewandert, um mir so etwas wie einen Überblick zu verschaffen. Severins Arbeitszimmer war abgesperrt. Vermutlich schläft er noch. Jedenfalls konnten ihm meine Morgengrüße kein Lebenszeichen entlocken. Bei Maurice desgleichen, aber sein Zimmer war ja auch menschenleer.«
    »Der war gar nicht da? Hat woanders übernachtet? In letzter Zeit war ich zu viel unterwegs. Aber wir hatten es gut zusammen, haben uns alles erzählt. Ich will nicht, dass das verloren geht.«
    »Er verhält sich eigentlich ziemlich altersgerecht, findest du nicht? So wie ich mich auch. Wie jede anständige Greisin bin ich nämlich schon seit halb sechs wach. Ich habe sogar schon einen Spaziergang gemacht.«
    Réa schielte nach Rosas Armbanduhr und fuhr auf: »Fast elf? Elf! Ich fürchte, mir entgleitet alles. Und eine schlechte Mutter bin ich auch.«
    »Unten gibt’s Kaffee«, erwiderte Rosa, stand auf und ging zur Tür. Dort sagte sie: »Das weiß man erst viel später. Aber der Bub wird seinen Weg schon machen, keine Sorge. Maurice, meine ich.«
    Als Réa die Küche betrat, ließ Rosa ihre Zeitung sinken, um ihr Kaffee einzuschenken. Neben der Tasse lag ein Fetzen Papier, vollgekritzelt mit Namen und Rufnummern. Réa nahm einen Schluck und warf dieser Liste ihrer Versäumnisse einen bösen Blick zu; sie verdarb ihr die Laune.
    Hinter ihrer Zeitung nuschelte Rosa: »Maurice ist ein fabelhafter Jüngling.« Und nachdem sie die Zeitung niedergelegt hatte: »Milch ist keine mehr da.«
    »Na und?«, zischte Réa und steckte den Zettel ein. Rosa verschwand wieder hinter ihrer Zeitung, was Réa nur zusätzlich ärgerte. Sie war ungnädiger Stimmung. Den Hinweis auf die fehlende Milch hätte Rosa sich wirklich sparen können. Und erst recht natürlich die Lebensweisheit, eine Mutter würde immer erst viel später wissen, ob sie ihre Sache gut gemacht habe. Nachdem sie zwei Zuckerwürfel in den Kaffee geworfen hatte, beschloss Réa, sich doch lieber einen Tee aufzugießen.
    »Du scheinst ja mit Haut und Haar in deinem neuen Projekt aufzugehen – hab ich jedenfalls gehört«, brummte es hinter der Zeitung, »und das freut mich für dich. Ich erinnere mich noch gut an die Glücksgefühle, die ich hatte, wenn es bei mir einmal richtig gut lief. Die Muse küsst einen ja schließlich nicht täglich.«
    Am

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