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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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offenbar gerade auf den Heimweg.
    »Hast du es ihr schon gesagt? Oder muss ich mit dir üben?«
    Maurice lachte. Nur Rosa konnte ihn so liebevoll mit unverfrorenen Fragen überfallen. Bei ihr schwang immer etwas Ironie mit, aber der eigentliche Klang war, wie er sich einmal gegen innere Widerstände zurechtgelegt hatte, Herzensgüte. Ein Wort, das auszusprechen ihm allerdings peinlich gewesen wäre.
    Staunenswerte Rosa. Die Verlässlichkeit in Person und in ihrem Handeln doch stets unvorhersehbar. Jetzt schwenkte sie, in der Türe stehend, ein rostiges Eisending hin und her. Zwischen ihren Lippen steckte etwas Blaues. Es war fast Mitternacht. Mehr als drei Seiten hatte er nicht gelesen. Das Buch lag aufgeklappt neben seinem Bett. Mit ihrem weißen Haar und dem blau schillernden Bademantel erinnerte Rosa ihn an eine Wahrsagerin. Spontan deutete er auf das Buch: »Was habe ich gerade gelesen?«
    Sie raffte in aller Ruhe die Haare zum Zopf zusammen, klemmte sie mit dem blauen Ding, es war eine Spange, fest und führte ihre übersinnlichen Fähigkeiten vor: »Du liest diese unbewohnten Paradiese.«
    »Alle Achtung!«, brummte Maurice.
    »Das war nicht weiter schwer.«
    »Wieso?«
    »Ich war um neun schon mal hier. Und neben deinem Bett lag kein anderes Buch.«
    »Und ich habe mir vorgestellt, du könntest hellsehen.«
    »Gedanken lesen kann ich natürlich. Ich weiß zum Beispiel ganz genau, was dich gerade beschäftigt. Habe ich das nicht gerade erst unter Beweis gestellt?«
    Maurice lachte verlegen. »Du musst trotzdem nicht mit mir üben.«
    »Gut! Dieses monströse Teil ist der Schlüssel.«
    »Warum bist du dir eigentlich so sicher, dass ich Lilith noch nicht gefra…?«
    »Na! Na! Zu irgendetwas muss das Altwerden doch gut sein. Das äußere Auge wird schwächer, das innere schärfer. So einfach ist das. Du bist schüchtern, sie ist schüchtern. Aber das ist auch gut so. Sehr gut sogar.« Schwungvoll setzte sie sich auf die Bettkante.
    »Aber Lilith ist doch nicht schüchtern!«
    »Ho! Man kennt sich bei Frauen noch nicht so gut aus, was? Schüchtern wie ’ne Eidechse ist sie. Vielleicht nicht unter Leuten und nicht im Alltag. Aber bei diesen Dingen …« Rosa deutete mit gespitztem Mund einen zarten Kuss an. Bei jeder anderen Person hätte ihn eine Anzüglichkeit dieser Art genervt. Nicht so bei Rosa und seit Kurzem wusste er auch, warum: Sie war immer echt. Gab sie sich forsch, war sie dennoch herzlich. Was immer sie tat, war nur zu seinem Besten, das spürte er. Darüber hinaus war sie ja wirklich eine Hellseherin, oder etwa nicht?
    »Lilith macht mich schüchtern«, murmelte er und hoffte inständig, Rosa würde das Thema nicht wechseln. Wie gerne hätte er einmal über seine Gefühlswirren gesprochen, die alle Lilith hießen. Warum ängstigte ihn seine Sehnsucht im gleichen Maß, wie sie ihn entzückte? Warum fiel es ihm so schwer, Liliths Gefühle einzuschätzen? War Liebe vielleicht nur eine Art Betäubung?
    Rosas Lachen holte ihn zurück.
    »Das passt ja gut. Gleich zu gleich. Versteh es als Glück, dass ihr beide etwas langsamer seid. Ich war in meinem Leben oft zu schnell. Einmal sogar katastrophal schnell.« Rosa stutzte, zögerte. »Wie gerade eben wieder mit diesem Geständnis. Das hätte ich nicht sagen sollen. Vergiss es, Maurice! Im Übrigen brauchst du keine Ratschläge. Selbst ist der Mann, selbst ist die Frau. Dann geht es wunderbar. Das ist sozusagen die Quintessenz meines Liebeslebens.« Und Rosa zog mit der Handkante zwei schön parallel laufende Dellen in Maurice’ Bettdecke, um nochmals in Lachen auszubrechen. »Ich fass es selbst nicht, aber mehr Weisheit habe ich nicht zu bieten!«
    Mit tänzerischem Schwung stand sie auf und leitete ihren Abgang ein. Sie war schon an der Tür, als Maurice einfiel, dass sie ihn gar nicht eingeladen hatte, ihr sein Herz auszuschütten. Und doch war er nicht enttäuscht. Eher empfand er vertrauensinnige Bewunderung für sie. Selbst ist der Mann. Vielleicht hatte sie ihm mit dieser Bemerkung am meisten gedient. Diese schillernde Hexe, dachte er, hat mir doch gerade beigebracht, dass ich, wenn schon, mein Herz bei Lilith ausschütten muss.
    An der Tür sagte Rosa: »Wusstest du eigentlich, dass Carla im Haus war? Zufällig stand ich in der Halle, als sie etwas aufgelöst die Treppe herunterkam. Wir setzten uns auf die erstbeste Stufe. Sie sieht Gespenster, sag ich dir. Aldo führe ein Doppelleben. Habe etwas mit dem Maskierten zu tun. Das glaubt sie allen

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