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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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wappnen, riss sie die Küchentür auf. Maurice stand grimassierend vor dem Kühlschrank und keuchte: »Oooh, Salaaami duuuh!«
    Carla hatte sich sofort wieder im Griff. Sie gab irgendeine Floskel von sich, riss die Tür zu und war bereits dabei, die Treppe hinaufzueilen, als sie Severins Stimme vernahm:
    »Bist du es, Carla?« Sie wollte Nein rufen und bejahte.
    »Hier bin ich, im Arbeitszimmer.«
    Jeden Tritt die Stufen hinauf machte sie zum zornigen Versprechen, alles zu sagen, alles zu fragen, alles zu wagen. Zumindest diesen Erfolg wollte sie heute für sich verbuchen können.
    Der Einstieg war vielversprechend, weil Severin sich für gestern entschuldigte. Es täte ihm leid, dass er nicht hellhörig genug gewesen sei. Er hätte schon gespürt, dass sie etwas plage.
    »Bist halt doch ein professioneller Seelsorger«, sagte Carla.
    Er sagte: »Spotte nur.«
    Sie: »Ich spotte doch nicht.«
    Er: »Was also liegt dir auf der Seele?«
    Sie: »Siehst du! Aus dem Vokabular der Branche.«
    »Geht es um Aldo?«
    »Zum Beispiel.«
    »Um Ghana?«
    »Nein.«
    »Um Aldo ja, um Ghana nein.«
    »Sozusagen.«
    »Sozusagen?«
    Wie zwei glucksende Kinder in einer Drehtür, dachte Carla gereizt. Eines muss raus aus dem Karussell, verflixt. Das gab ihr den Anstoß:
    »Ich glaube, Aldo ist krank. Gestört meine ich. Da oben gestört.« Carla schlug sich an die Stirn, schaute sich um, entdeckte einen Stuhl vor der Bücherwand, zog ihn heran und setzte sich.
    »Ach, entschuldige!« Nur das kam von Severin und meinte wohl sein Bedauern, ihr keinen Sitz angeboten zu haben. Damit war nichts anzufangen. Also musste sie einen zweiten Anlauf nehmen:
    »Es ist so!« Beweise habe sie zwar nicht. Aber als Schöffin Zugang zu den Akten. 43 sei der Fußabdruck und dreimal sei Aldos Maskensammlung nicht vollständig gewesen. Die Daten stimmten auffällig mit dem Auftritt des Spinners überein und das Chemiebuch enthalte ein mit Notizen übersätes Kapitel, eindeutig Aldos Handschrift. Seine Wanderschuhe, ein einziges Mal benutzt, seien offensichtlich entsorgt worden. Und früher einmal hätten sie sich beide auf gewisse voyeuristische Rollenspiele eingelassen. Aldo sei ganz versessen darauf gewesen. Carla redete und redete, bis ihr Severins schwammiger Blick auffiel, so befremdend, dass sie sofort abbrach. Er schaute zu ihr hin, aber durch sie hindurch. Ich rede wirr, dachte sie, oder es ist ihm peinlich, dass ich ihn einweihe. Oder strapaziere ich damit seine Loyalität dem Freund gegenüber? Plötzlich schien es Carla unverzeihlich, dass sie das nicht früher bedacht hatte. Henry wäre der bessere Vertraute gewesen. Severin interessierte doch neben dem Segeln nur die Theologie, und zwar ausschließlich die theoretische, keinesfalls die praktische der Beichte …
    An diesem Punkt ihres Gedankenganges verblüffte sie der Theoretiker mit einer sehr konkreten Frage: »Was ist mit diesen Schuhen Größe 43?«
    »Ich bin ja Schöffin.«
    »Das weiß ich doch.« Es kam als Knurren.
    »Das ist alles noch gar nicht offiziell. Man hat mir Einblick in die Untersuchungsakte gegeben.«
    »Man? Wer?« Passend zum vorigen Knurren bellte Severin die beiden Wörter heraus. Warum klang er so aggressiv? Oder war sie zu empfindlich? Sie wollte vorankommen:
    »Die Untersuchungsbehörden haben einen Fußabdruck mit dem Profil von Wanderschuhen beim Steg des Wasserwerkes sichergestellt. Größe 43, wie Aldo. Für die letztjährige Herbstwanderung der Rotarier hat er sich Bergschuhe angeschafft. Sie standen immer neben seinen Gummistiefeln in der Garage. Die Stiefel sind noch da. Die Schuhe nicht. Einmal getragen und schon entsorgt? Das passt nicht. Nicht zu Aldo.« Kaum gesagt, fuhr ihr ein Gedanke in den Kopf, der sie fast erschlug: Sie musste an den fußlosen Tutsijungen und gleichzeitig an ihre sicher über hundertdreißig Schuhpaare denken. Meine Sammlung! In hundertdreißig verschiedenen Schuhen stehe und gehe ich, nur nicht auf eigenen Füßen! Jetzt, Carla, musst du aufwachen! Sie kniff die Augen zusammen, als könnte sie sich einen kurzen Moment vor Severins Augen in Sicherheit bringen.
    Severin hievte seine Füße, sie steckten in Hausschuhen, auf die Schreibtischplatte. »Voilà! Maßgenaue 43! Carla, das besagt doch gar nichts!«
    »Nein, nichts? Genau deswegen verdächtigen sie den Exhibitionisten. Weil sie bei ihm keine anderen Schuhe gefunden haben, nur Sandalen. Kein Mensch hat nur Sandalen.« Mit Verzweiflung um Konzentration bemüht, schrie sie es

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