Der Drache am Himmel
waren aber doch Ausschläge erkennbar. Hörte rein. Hörte mich und Réa. Fand unerträglich, was er hörte. Seine Mutter benahm sich nur peinlich, aber sie war eben, wie er längst vermutet hatte, verknallt. Er fand, der Mann, der die Frau abwies, sitze auf einem verdammt hohen Ross und habe einfach keine Ahnung. Maurice sagte es so: »Etwas zerknautscht in der Herzgegend.« Als er schloss, siezte er mich, aber das fiel mir erst später auf.
»Eigentlich hätte ich Ihnen nichts davon erzählen wollen. Aber jetzt ist es halt so. Ich musste es wohl loswerden. Es geht mich nichts an, was zwischen Ihnen und meiner Mutter läuft. Mann, es war schon ätzend genug, dass ich euch abgehört habe!«
Die ganze Zeit über hatte er das Kreuz im Blick behalten. So bekam er nicht mit, wie sehr er mich verstörte: Wieso war ihm jener standhafte Henry herzlos vorgekommen? Gleichzeitig erinnerte ich mich an Liliths Seufzer in der Kirchenbank: Je weniger du machst, desto besser für alle! Ich glaube, dass ich ihm meine Hand hinstreckte und ihm dankte. Ich erinnere mich aber nicht, seine Hand gespürt zu haben. Klar höre ich wieder, dass ihn Lilith zu sich rief und er sich sogleich von mir absetzte. Alle waren sie schon am Aufbrechen. Wahrscheinlich haben wir uns mit Kopfnicken verabschiedet.
Kleinstadt, Halbzeit. Bilanz. Tod eines Mädchens. Ein Unschuldiger im Gefängnis. Untreue der Frau des Schuldigen, der mir seinen Pokal und mehr verdankte. Ja, ich hatte die Küsse seiner Frau abgewiesen. Nur der Freund aller war ich, wie vorgesehen. Und ja: Heute hatte ich, überraschend für mich, geweint. Und ebenfalls heute war ich zurechtgewiesen worden: Je weniger du machst, desto besser für alle! Mein Gang nach Hause kam mir unendlich mühsam vor.
Barbara empfing mich so, wie ich mich selbst fühlte: aufgelöst! Sie habe mich im Gedränge aus den Augen verloren – »wo warst du denn eigentlich?« –, aber nicht deswegen sei sie durcheinander, sondern wegen eines Französisch sprechenden Mannes. Alle fünf Minuten rufe er an und verlange nach mir. Außer, dass es sehr dringend und wichtig sei, wolle er partout nichts preisgeben.
Es vergingen weit mehr als fünf Minuten, bis der Mann wieder anrief. Er stellte sich als Geschäftspartner der Création Bellini vor. Schon mit Aldos Vater habe er zu tun gehabt. Er befinde sich in Marokko. Wende sich im Auftrag von Aldo Bellini an mich. Ob er sicher sein könne, dass ich persönlich am Apparat sei?
»Natürlich! Henry Lauterbach persönlich.«
Es sei nur so, dass er sich vergewissern müsse. Aldo verlange das. Es sei sehr vertraulich.
»Soll ich Ihnen meinen Pass vorlesen?«
Er lachte nicht einmal. Nein, ich müsse ihm den Wochentag nennen, an dem ich mit Aldo die Studie der Unternehmensberater durchgearbeitet habe. » Pardon «, sagte er, » mais Monsieur Bellini l’insiste! «
Ich identifizierte mich mit Donnerstag und er legte los. Aldo Bellini habe zu niemandem so viel Vertrauen wie zu mir. Das solle er mir ausrichten. Diskretion sei jetzt unabdingbar. Sonst würden die geschäftlichen Konsequenzen für Bellini katastrophal sein.
»Gestern haben sie votre ami Aldo Bellini in Accra verhaftet. Er bittet Sie deshalb, sofort nach Ghana zu fliegen. Mit Geld ist da was zu machen.«
Vor meinem inneren Auge nahm ein dunkles Rattenloch voller umherhuschender Kakerlaken Gestalt an. Aldo kauerte in der Ecke … Im Hörer wurde eine Summe genannt und mehrfach betont, es gehe nicht um Bestechung, sondern nur darum, die nötigen Schritte einzuleiten.
»Was ist denn überhaupt vorgefallen?«, unterbrach ich den Mann. Er sagte, wenn es mir recht sei, nehme er übermorgen früh den ersten Flug. Schneller gehe es bei ihm leider nicht. Gegen elf Uhr werde er landen. Ob ich da sein könne?
»Warum tun Sie das alles?«
» Son Papa, Salvatore, il était un vrai ami à moi. « Salvatore zuliebe! Diese Begründung entgeisterte mich dermaßen, dass ich sofort einen Entschluss fasste: Ich hole Aldo da raus.
7
Route du soleil
D avon träumte Maurice: von der innigen, stimmigen Liebe. Von einer Liebe, die alles wagt, auch den Tanz auf dem Hochseil ohne Netz darunter. Er hütete sich, davon zu sprechen. Hatte ja auch keine Sprache dafür. Das Vokabular der Band war, gelinde gesagt, herber. Zeitgenössisch. Seit er Lilith kannte, nervte ihn das. Irgendwie verhunzten ihm die Sprüche der Kumpels seine reinen Bilder. Böse konnte er ihnen deswegen aber nicht sein. Wahrscheinlich waren sie normal,
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