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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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ihr mit denselben Worten antwortete. Ich blieb noch lange wach. Draußen hatte der Wind eingesetzt. Durchs halb offene Fenster sprangen die kleinen Schnalzer erster Regentropfen. Schön war das. Der Tüllvorhang hatte einen Tanz begonnen, den ich wie in Trance beobachtete. Jäh brach der Regen los.
    Mittwochabend. Carla Bellini kam. Sie war die Anspannung selbst. Normalerweise lagen ihre schönen, teuren Schals wie hingeweht um Nacken und Schultern. Diesmal jedoch hockte ein wulstiger Knoten so auffällig auf ihrem Brustbein, als wolle sie ständig an einen hässlichen Gedanken erinnert werden. Kaum hatte sie den ersten Schluck Mineralwasser zu sich genommen, preschte sie vor:
    »Ich weiß alles, Henry! Du hast Aldo in Ghana rausgepaukt.«
    Weder bejahte noch verneinte ich. Nur die Hände hob ich. Es konnte die Bitte um Vergebung oder ein Zeichen sein, dass ich mich ihr und ihrem Zorn ergab. Sie nahm es als Einladung, seelischen Ballast abzuladen.
    Aldos Benehmen nach Accra empfand sie als hysterisch. Er telefoniere nächtelang. Tagsüber sei er gereizt. Fiona und Fabio ging er in einer Weise aus dem Weg, die sie verstöre. Zweimal empfing er dubiose Gestalten, die er ihr nicht vorgestellt, sondern gleich an ihr vorbei ins Arbeitszimmer gelotst habe. Dann sei Aldo nach Italien geflogen und habe ihr sein genaues Reiseziel verschwiegen. Diese Heimlichtuerei war der perfekte Dünger für ihr Misstrauen. Kaum war Aldo weg, fing es an, sich wuchernd auszubreiten. Schnell hatte sie ihr Szenario entworfen: Die dubiosen Gestalten sollten ihrem Mann ein Alibi liefern für den Fall, dass seine Verstrickung in den Tod des Mädchens Katja aufgedeckt würde. Dass er irgendwie damit zu tun hatte, davon war sie mittlerweile überzeugt. Und sie hatte auch keinerlei Zweifel mehr daran, dass Aldo ein Doppelleben führte.
    Sie begann, systematisch sein Arbeitszimmer zu durchsuchen. Aktuelle Kontoauszüge schürten ihr Misstrauen weiter. Er schob große Summen hin und her, wobei im ständigen Wechsel immer ein anderes Konto ein sattes Plus auswies. Verblüfft hielt sie plötzlich Dokumente einer ausweislich privaten Bankverbindung nach Avignon in den Händen. Das Konto war mit einer Millionensumme bestückt, doch im Gegenzug mit Schecks wieder leer geräumt worden. Millionen nach Avignon? Wofür flossen Millionen Euros nach … Francs! Es waren Francs, französische Francs, die es längst nicht mehr gab. Die Vorgänge lagen vierzig Jahre zurück und die Korrespondenz war an S. Bellini adressiert, also an Salvatore. Statt aber erleichtert zu sein, zermarterte sich Carla jetzt den Kopf, was um alles in der Welt Aldo wohl veranlasst haben könnte, diese uralten Papiere aufzubewahren.
    Als er zum zweiten Mal nach Italien flog, verschaffte sie sich in der Nacht Zutritt zum Bellini-Gebäude. Sie war lange nicht mehr dort gewesen. Als Erstes überraschten sie zwei große afrikanische Masken an den Wänden seines Büros, die sie noch nie gesehen hatte. Das veranlasste sie zu einer minutiösen Durchsuchung. An den unwahrscheinlichsten Plätzen vermutete sie ein Versteck. Sie räumte alles und jedes aus und verdächtigte jede Holzverkleidung, einen Hohlraum zu kaschieren. Sie ging so weit, alle Ordner zu durchforsten. Aber sie fand nichts, kehrte aufgewühlt nach Hause zurück und legte sich zur Beruhigung eine Brahms-CD auf. Das war die Eingebung: Aldos CD-Sammlung im Arbeitszimmer … Sie hastete hin und blätterte sich durch die Reihen. Bei Haydn lag eine silbern leere Disc drin, »Sony dvd video« war matt aufgeprägt. Nicht Musik, Video!, dachte sie.
    Sie sah sich den Film an. Ein Mann in einer Kapuze mit Löchern für Augen und Mund erklärte auf Englisch, dass der folgende Film nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Das sollte auch so bleiben. Man werde sich bei Herrn Aldo Bellini melden. Der Film: Seltsame Walzen. Bottiche. Einmal kurz, aber eindeutig Aldo selbst, der durch Werkräume schreitet, anhält, zwischen grellgelb beschrifteten Kanistern steht. Kinder. Ängstliche Blicke. Arme, Schultern, Gesichter fleckig, schorfig, eitrig.
    Carla verstummte. Ich jedoch dachte: Die Bedrohung von Accra ist Aldo gefolgt. Sie erpressen ihn auch hier.
    »Henry, bitte, überzeug mich davon, dass ich mir das alles nur einbilde!«, sagte Carla und brach in Schluchzen aus. Wie sollte ich sie trösten? Unentschlossen schwebte meine Hand über ihrer Schulter. Dabei bemerkte ich ausgebleichte, offensichtlich nicht nachgefärbte Stellen an ihren

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