Der Drache am Himmel
Schläfen. Auch das schöne Braun ihrer Haare kam also vom Friseur, nicht bloß ihre blonden Strähnen. Diese Entdeckung rührte mich mehr als ihre Tränen.
Bei alldem hatte ich ganz vergessen, dass ich neuerdings einen Assistenten hatte: Che-Che war mir schon diesen ganzen Mittwoch über treu gefolgt. Er hatte sich angewöhnt, im Gewucher der Kaffeepflanzen beim Fenster zu verschwinden, wenn wir uns in diesem Zimmer befanden. Nun streckte er plötzlich seinen schräg gestellten Kopf aus dem Dickicht, um Carla zu betrachten. Als er ihren Blick eingefangen hatte, trottete er zu ihrem Sessel und legte seine Schnauze aufs Sitzkissen. Es wirkte ausnehmend treuherzig. So gut wie er hätte ich Carla nie zu trösten vermocht. Während sie Che-Che hinter den Ohren kraulte, sagte sie verwundert:
»Du bist vermutlich der einzige Mann, den dieser Hund erträgt … Bei uns zu Hause jedenfalls hätten wir ihn nicht halten können.«
»Aber Fabio und Fiona …«
»Es ist Aldo, mit dem er nicht klarkommt.«
Das Thema Hund war mir sehr willkommen. Deshalb sagte ich: »Ein braves Tier. Und immer gut drauf.« Es war die falsche Besänftigung, denn Carla stellte ihr Kraulen sofort ein und gellte:
»Hunde sind sie alle. Alle, die sich jetzt um Aldo scharen, sind unberechenbare, beißwütige Tölen. Wild gewordene underdogs aus den Zwingern des Herrn Papa. Henry, weißt du überhaupt, von welcher Sorte Familie ich spreche? Hast du eine Vorstellung davon, wie es in Salvatores sizilianischer Familie zuging?«
Sie ersparte mir eine Antwort, indem sie ohne Pause weiterredete. Die beißwütigen Hunde waren in ihren Worten die Schreibtisch-Mafiosi , jene nämlich, die seinerzeit Salvatore Bellini den wuchtigen Schreibtisch gestiftet hatten, der auch jetzt Aldos Arbeitszimmer dominierte. Carla hatte geglaubt, dass die Verbindung zu jenen Kreisen längst gekappt war. Doch jetzt wusste sie es besser. Salvatores Geist war auferstanden. Von Aldo heraufbeschworen, weil ihm das Wasser bis zum Hals stand. Also hatte er Kontakt mit Leuten aufgenommen, die wissen, wie man Probleme nachhaltig löst. Ich staunte, mit welchem Aufwand Carla das Wort Killer vermied, obwohl ich genau das verstehen sollte.
Che-Che hatte sie unverwandt im Auge behalten, offenbar fest überzeugt, dass er gleich wieder gekrault würde. Er täuschte sich. Carla schob seine Schnauze vom Polster, als sie vorschnellte, um mich an den Händen zu fassen. Sie ließ mich während ihres ganzen Berichtes nicht mehr los. Mir schien, als ströme ihre panische Energie in meine Finger.
»Mein Junge gestern! Ich ertrage das nicht mehr! Fabio kam zu mir ins Schlafzimmer. Das tut er manchmal, wenn ihn etwas sehr beschäftigt. Dann setzt er sich normalerweise zu mir aufs Bett. Doch gestern traute er sich nicht heran. Schon das hat mir einen Stich versetzt. Dass er so unbeholfen und so verspannt dastand. Ganz mager wirkte er und zerbrechlich. Als ich ihn bat, sich doch hinzusetzen, blickte er nur zu Boden. Schließlich hob er den Kopf, kreuzte aber ängstlich und ungelenk die Arme vor seiner Brust, als müsse er sich vor etwas ganz Schrecklichem schützen. Henry! Das war die Hölle! Ich starrte auf seine schmalen Ärmchen und stellte mir vor, wie grobschlächtige Hände ihn packen und ihn von mir fortzerren. Es waren schreckliche Minuten, Henry! Fabio weiß doch von nichts. Er hat die Besucher nicht gesehen. Er weiß nichts, gar nichts! Er stand nur wie angegossen da und ich war die schlechteste Mutter der Welt, weil ich nicht aus dem Bett sprang und ihn einfach in die Arme nahm. Alles verpasse ich, Henry! Seit Jahren schon … Plötzlich machte Fabio ein paar Schritte zurück und griff nach der Türklinke hinter seinem Rücken. Dann sagte er mit ganz fester Stimme, der ich anhörte, wie sehr er sich zusammennehmen musste: ›Ich will nicht sterben wie bei der Mafia!‹ Dann schlüpfte er aus dem Zimmer. Und ich unfähiges Stück Mutter blieb einfach wie gelähmt im Bett liegen! Als ich später dann, viel später, zu ihm ging, weigerte er sich, mit mir zu sprechen. Ich solle verschwinden, brüllte er mir entgegen. Ich hatte es vermasselt. Wieder einmal vermasselt. Begreifst du, Henry, dass ich so nicht weitermachen kann?«
»Wuff«, machte Che-Che und verzog sich in seinen Dschungel. Carla sah dem Hund nach und schwieg. Sie hielt noch immer meine Hand und das wurde mir jetzt so unangenehm, dass ich aufstand. Vielleicht sollte ich uns einen Tee holen. Ich wandte mich zur Tür.
»Hast du
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