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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Sommer
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gezeigt?«
    »Ins Zimmer gelegt, ja. Am Tag nach der Führung durch die Produktionsstätten.«
    »Und?«
    »Ein Vermögen haben sie von mir verlangt für ihr Schweigen. Ich bin nicht auf die Forderung eingegangen, weil ich sie nicht ernst genommen habe.«
    »Wurdest du auch bedroht?«
    »Nein. Verhaftet. Am späten Abend standen plötzlich zwei Polizisten in meinem Hotelzimmer.« Aldo sagte noch, dass er als Erstes Réa zur Rede stellen würde. Dann versank er tief in seinem Sessel und schnallte sich mehrmals an und wieder ab. Lehnte den Champagner, den die Flugbegleiterin anbot, für uns beide ab, ohne mich zu fragen. Entschuldigte sich mehrmals für die Unannehmlichkeiten, die er mir bereitet habe. Sagte, er liebe Carla sehr – und erkundigte sich plötzlich nach meiner Begegnung mit dem Marokkaner.
    »Ein netter Mensch. Er war schon mit deinem Vater befreundet, nicht wahr? Haben sie Geschäfte miteinander gemacht?«
    Kaum hatte ich das gesagt, ärgerte ich mich schon. Was musste ich Salvatore erwähnen! Im Rückblick verstehe ich mich besser: Ich wollte Aldo treffen. Zu viel Groll hatte sich in mir angestaut. Meine Freundschaft zu ihm war brüchig geworden. In Accra hatte ich die Lust an meiner Feldforschung verloren und unbewusst gab ich Aldo die Schuld daran. Der starrte nur stumm vor sich hin. Vielleicht ist mir die Szene auch deshalb so genau in Erinnerung geblieben, weil Aldos Reaktion erst eine halbe Stunde später erfolgte. Gefragt hatte ich über Mailand, aber erst über dem Bodensee brach er das Schweigen:
    »Mein Vater hätte gewusst, wie man mit solchen Typen umgeht.«
    Klar war, dass er nicht den Marokkaner meinte, sondern den Ghanaer mit der Filmkamera.
    Wir landeten. Warteten aufs Gepäck. Meines kam, Aldos Reisetasche auch, sein Koffer hingegen nicht. Man versicherte uns, dass sofort Nachforschungen eingeleitet würden, man werde sich melden. Um nicht mit Aldo zurückfahren zu müssen, schützte ich einen Termin am nächsten Vormittag hier in Frankfurt vor.
    Bevor wir uns trennten, legten wir in einer Stehbar noch gewisse Sprachregelungen fest, um der Entstehung von Gerüchten vorzubeugen. Dann gingen wir auseinander.
    Vom Hotelzimmer aus rief ich den Richter an. Es war nur ein kurzes Gespräch. Ich sagte ihm, dass er sich auf meine Hilfe verlassen könne, und er meinte bloß, das wisse er.
    »Vor Gericht habe ich versagt und diesen Kindern nicht zu ihrem Recht verholfen«, sagte er. »Also soll ihnen wenigstens im Leben Recht geschehen. Wenn sie geheilt werden, kann ich meine Beschämung besser ertragen. Sie sind ein Ehrenmann. Eine gewisse Verwunderung, Ihnen begegnet zu sein, wird mir natürlich immer bleiben.« Er beendete das Gespräch damit, dass er mir seinen Vornamen erklärte. Er heiße Akwasi, sagte er, weil er an einem Sonntag geboren sei.
    »Ich heiße Henry. Gute Nacht, Akwasi.«
    »Gute Heimkehr, Henry.«
    Lange sann ich seinen Worten nach. Ich zweifelte immer weniger daran, dass er mich als Jenen erkannt hatte; schrullig genug dafür war er.
    Ich vernahm ein Flüstern: »Und er hat dich einen Ehrenmann genannt.« Meine Meisterin. »Weißt du auch, warum?«
    »Weil ich für die Behandlung der Kinder …«
    »Weil er dank dir seine Schuld besser ertragen kann. Das sollte dir zu denken geben.«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Das ist mir bewusst, Henry. Unsere vornehmste Aufgabe hast du schon immer gering geschätzt: dass wir mit dem fehlbaren Menschen Schuldgefühl und Einsamkeit teilen. Konsultiert er seinen Spiegel, so sieht er darin nicht nur sich, sondern an seiner Seite auch uns! Was willst du die Menschen also richten? Sie miss brauchten uns nicht. Sie brauchten uns! Wie oft war einer dankbar, seiner dunklen Seite einen Namen geben zu können. Den unseren halt …«
    Sie überließ mich meiner Verblüffung; später wurde daraus Erschütterung. Noch später stellte ich mich im Badezimmer vor den Spiegel. Ich erblickte mich – wen sonst? Sah mich, den Mann aus Kanada, ausstaffiert mit den selbst gewählten Attributen eines sympathischen Äußeren, und fand mich doch hassenswert. Ich sah den ersten und letzten Teufel, Heinrich Lauterbach, der sich selbst zum endgültigen Exorzisten ernannt hatte … Aber irgendwie blickten mir im Spiegel auch eine eitle Carla, eine untreue Réa, ein getriebener Severin, ein habsüchtiger Aldo entgegen. Auch Akwasis Züge sah ich in mir. Und aufgelöst schien, was vor und was hinter der Spiegelung war. Erstmals erkannte ich das, was ich halt auch

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